parentifizierung

Austausch zu psychologischen Theorien
Antworten
Babell
Forenlegende
Forenlegende
Beiträge: 906
Registriert: 21.05.2010 15:04

parentifizierung

Beitrag von Babell »

Was ist Parentifizierung genau?

Wenn man ein Kind sehr bevorzugt, ist das bereits Parentifizierung oder ist es erst, wenn man ihm Erwachsenenverantwortung auferlegt, wie z.b. Chefposition des Hauses oder Partnerschaftsersatz?

Wie merken Alleinerziehende und Scheidungsväter, dass sie ihr Kind Parentifizieren? Können das Betroffene überhaupt merken?

(Oder anders gefragt: Warum WOLLEN sie es nicht merken :?: :!: Was passiert, wenn man solche Dinge anspricht, als Partnerin, weiss ich ja.... :evil: )

Und zu guter Letzt: kann das auch einer Mutter/Vater passieren, welche/r mit dem Vater/Mutter des Kindes noch zusammen ist?
Benutzeravatar
Ria
Moderatorin
Moderatorin
Beiträge: 537
Registriert: 20.03.2010 07:41
Wohnort: Stäfa
Kontaktdaten:

Re: parentifizierung

Beitrag von Ria »

Hallo Babell

Ich finde wikipedia erklärt das ziemlich gut:
Parentifizierung oder Parentifikation (lateinisch parentes „Eltern“, facere „machen“) ist ein Begriff aus der Familientherapie, der eine Umkehr der sozialen Rollen zwischen Elternteilen und ihrem Kind bezeichnet. Eine Parentifizierung findet statt, wenn Elternteile ihre Elternrolle unzureichend wahrnehmen und sich das Kind aufgefordert und verpflichtet fühlt, seinerseits die nicht-kindgerechte, überfordernde „Eltern-Funktion“ diesen gegenüber zu übernehmen.

Eine Parentifizierung bedeutet im Rahmen familientheoretischer Überlegungen eine Störung der familiären Hierarchie und der Generationsgrenzen: Das Kind übernimmt in diesem Sinne die Großelternfunktion, in dem es in die Mutter- bzw. Vaterrolle einem Elternteil gegenüber gerät. Die Auswirkungen einer derart dysfunktionalen Familienstruktur auf die weitere Entwicklung des parentifizierten Individuums werden überwiegend als schädigend beurteilt.

... In einem gesunden Umfeld wird zwischen der Eltern- und Kindebene klar unterschieden. Um Aufgaben und Konflikte auf der Elternebene muss das Kind sich nicht kümmern, was entlastend wirkt. Eltern, die ihre Konflikte selbst auf Elternebene austragen, ersparen es beispielsweise auch ihren Kindern, Stellung beziehen zu müssen und Loyalitäten zu wählen. Insofern ist es zum Wohl des Kindes, wenn ihm sich einzumischen erst gar nicht erlaubt wird. Wenn es von seinen Eltern hört: „Du hast damit nichts zu tun, das machen wir Großen untereinander aus“, dann klingt das möglicherweise hart, doch wird dem Kind damit ganz konkret die Ebenengrenze signalisiert, welche zu überschreiten belastend für es sein kann.
Babell hat geschrieben:Wie merken Alleinerziehende und Scheidungsväter, dass sie ihr Kind Parentifizieren? Können das Betroffene überhaupt merken?
Ich bin überzeugt, dass wir das merken können, wenn wir uns selbstkritisch fragen (mit dem obenzitierten Wissen im Hinterkopf).
Babell hat geschrieben:Oder anders gefragt: Warum WOLLEN sie es nicht merken :?: :!: Was passiert, wenn man solche Dinge anspricht, als Partnerin, weiss ich ja.... :evil:
Weil es schwer ist, von anderen kritisiert zu werden. Eine solch selbstkritische Haltung kann sich nur "erlauben", wer sich selber sicher fühlt. Und dies als Vorwurf gehört bekommen mindert die Bereitschaft dafür eher.
Babell hat geschrieben:Und zu guter Letzt: kann das auch einer Mutter/Vater passieren, welche/r mit dem Vater/Mutter des Kindes noch zusammen ist?
ja klar - leider.
Seit 27 Jahren Patchworkfamilienfrau und Coach für solche :-)
http://www.coacheria.ch
Babell
Forenlegende
Forenlegende
Beiträge: 906
Registriert: 21.05.2010 15:04

Re: parentifizierung

Beitrag von Babell »

Danke für die Erklärung.

Es ist nicht einfach, wenn man in einer Krise mit dem Partner steckt, das Kind nicht zu Beziehungszwecken zu missbrauchen. Beispielsweise kam mein Kind letztens die Treppe hoch (war mit Papa draussen) und sagte zu mir: "mami, bist du nicht am Telefonieren?" (wir hatten einen Streit vorgängig und redeten eine Weile nicht miteinander. Nach einem Streit brauche ich viel Zuwendung und da telefoniere ich manchmal. Mein Partner empfindet das aber als Verrat, er denkt ich rede schlecht über ihn. Aber er könnte mich ja statt so gemein abwerten und fertig machen, sich einfach auch mal entschuldigen oder einsichtig und vernünftig sein! Dann wäre ich nicht so fest traurig und bräuchte nicht jemand der mich aufmuntert. Schliesslich muss ich ja noch für das Kind da sein, das ja die Situation noch weniger als ich einordnen und verstehen kann!) Jedenfalls geht es ja hier um mich und über Parentifizierung und ich wollte schreiben, dass es eben dann sehr schwierig ist, sich zurück zu halten und nicht zu sagen: "nein, bin ich nicht, sag das dem Papi" sondern lediglich: "nein, bin ich nicht. möchtest du mir etwas sagen oder mit mir spielen? Ich hab Zeit für dich" Und dann eben den ganzen Groll verstecken! das gelingt mir nicht immer! Oft spürt mein Kind, dass ich wütend bin. :oops:
Benutzeravatar
Ria
Moderatorin
Moderatorin
Beiträge: 537
Registriert: 20.03.2010 07:41
Wohnort: Stäfa
Kontaktdaten:

Re: parentifizierung

Beitrag von Ria »

Klar spürt dein Kind, dass du wütend bist! Dazu kannst du auch stehen. Und eben um nicht zu parentifizieren kannst du ihm sagen: "Ich bin gerade wütend, aber es hat nichts mit dir zu tun, du brauchst dich nicht um mich zu sorgen, ich bringe das selber wieder in Ordnung."
Und vielleicht hast du dann ja auch gar keine Lust, mit ihm zu spielen. Das darf sein.

Und wenn ich das noch anfügen darf: Du schreibst so, wie wenn du dich deinem Partner gegenüber als Opfer fühltest, das sich nicht wehren kann. Wahrscheinlich fühlt er sich dann gerade genauso. Wenn du herausfinden kannst, was dein Anteil an der Krise und dem Streit ist, tun sich neue Türen auf für gemeinsame Lösungen und Versöhnung. Ein Zeichen dafür wäre, dass du nicht mehr meinst, er müsste
sich einfach auch mal entschuldigen oder einsichtig und vernünftig sein!
:?
Seit 27 Jahren Patchworkfamilienfrau und Coach für solche :-)
http://www.coacheria.ch
Babell
Forenlegende
Forenlegende
Beiträge: 906
Registriert: 21.05.2010 15:04

Re: parentifizierung

Beitrag von Babell »

Ria hat geschrieben:
sich einfach auch mal entschuldigen oder einsichtig und vernünftig sein!
:?
Also er ist schon sehr stur und gibt nie nach. Jetzt haben wir ja nicht mehr Streit, aber er könnte sich schon ein bisschen anständiger verhalten. Ich finde, es gehört zum Anstand. Und er sagt das ja auch, wenn er nicht mehr wütend ist. Für mich gehören ein paar Grundregeln zum Zusammenleben. Wenn es nur um Partnerschaft ginge, wäre es etwas anderes, aber hier geht es um eine Familie. Hier geht es um ein Kind, das nicht versteht, weshalb Papi so ist. Da finde ich, dass ich schon ein paar Erwartungen haben kann.
Ich weiss, dass ich als Person absolut nicht perfekt bin und dass es viel an mir zu nörgeln gäbe. Da sage ich ja nichts dagegen! Mir ists halt wichtiger, dass ich eine gute Mutter bin.
Flakes
Beiträge: 22
Registriert: 23.04.2020 12:08

Re: parentifizierung

Beitrag von Flakes »

Ria hat geschrieben: 04.03.2015 10:49 Hallo Babell

Ich finde wikipedia erklärt das ziemlich gut:
Parentifizierung oder Parentifikation (lateinisch parentes „Eltern“, facere „machen“) ist ein Begriff aus der Familientherapie, der eine Umkehr der sozialen Rollen zwischen Elternteilen und ihrem Kind bezeichnet. Eine Parentifizierung findet statt, wenn Elternteile ihre Elternrolle unzureichend wahrnehmen und sich das Kind aufgefordert und verpflichtet fühlt, seinerseits die nicht-kindgerechte, überfordernde „Eltern-Funktion“ diesen gegenüber zu übernehmen.

Eine Parentifizierung bedeutet im Rahmen familientheoretischer Überlegungen eine Störung der familiären Hierarchie und der Generationsgrenzen: Das Kind übernimmt in diesem Sinne die Großelternfunktion, in dem es in die Mutter- bzw. Vaterrolle einem Elternteil gegenüber gerät. Die Auswirkungen einer derart dysfunktionalen Familienstruktur auf die weitere Entwicklung des parentifizierten Individuums werden überwiegend als schädigend beurteilt.

... In einem gesunden Umfeld wird zwischen der Eltern- und Kindebene klar unterschieden. Um Aufgaben und Konflikte auf der Elternebene muss das Kind sich nicht kümmern, was entlastend wirkt. Eltern, die ihre Konflikte selbst auf Elternebene austragen, ersparen es beispielsweise auch ihren Kindern, Stellung beziehen zu müssen und Loyalitäten zu wählen. Insofern ist es zum Wohl des Kindes, wenn ihm sich einzumischen erst gar nicht erlaubt wird. Wenn es von seinen Eltern hört: „Du hast damit nichts zu tun, das machen wir Großen untereinander aus“, dann klingt das möglicherweise hart, doch wird dem Kind damit ganz konkret die Ebenengrenze signalisiert, welche zu überschreiten belastend für es sein kann.
Babell hat geschrieben:Wie merken Alleinerziehende und Scheidungsväter, dass sie ihr Kind Parentifizieren? Können das Betroffene überhaupt merken?
Ich bin überzeugt, dass wir das merken können, wenn wir uns selbstkritisch fragen (mit dem obenzitierten Wissen im Hinterkopf).
Babell hat geschrieben:Oder anders gefragt: Warum WOLLEN sie es nicht merken :?: :!: Was passiert, wenn man solche Dinge anspricht, als Partnerin, weiss ich ja.... :evil:
Weil es schwer ist, von anderen kritisiert zu werden. Eine solch selbstkritische Haltung kann sich nur "erlauben", wer sich selber sicher fühlt. Und dies als Vorwurf gehört bekommen mindert die Bereitschaft dafür eher.
Babell hat geschrieben:Und zu guter Letzt: kann das auch einer Mutter/Vater passieren, welche/r mit dem Vater/Mutter des Kindes noch zusammen ist?
ja klar - leider.
Sowas kenneich teilweise von meinem eigenen Vater - da hatte ich öfter eine Therapeutenfunktion. Das hat sich mit der Zeit aber gelegt, als ich gelernt hatte mich abzugrenzen.
Antworten