Ein super braves Stiefkind

Fragen, Probleme und Sorgen...
Antworten
Joan
Beiträge: 2
Registriert: 23.09.2020 09:50

Ein super braves Stiefkind

Beitrag von Joan »

Ich fühle mich etwas von mir selber befremdet, hier zu schreiben - im Unwissen, wer das lesen wird und was ich mir von den Reaktionen erhoffe. Dennoch brauche ich ein Ventil und versuche es mal hier. Ich bin seit sieben Jahren mit meinem Partner zusammen, habe selber Kinder im Alter von 21 und 25 Jahren. Er hat eine Tochter im Alter von bald 14 Jahren. Seit wir zusammen sind, kommt seine Tochter an zwei Wochenenden pro Monat zu uns. Mein grosses Problem ist, dass ich mich nie an die Situation gewöhnen konnte. Anfangs war ich sehr motiviert, eine neue Familie zu bilden, aber irgendwie verliefen meine Anstrengungen stetig ins Leere. Eine echte Beziehung ist bis heute nicht entstanden und mittlerweile habe ich keine Kraft mehr, es weiterhin zu versuchen. Dies belastet mich sehr und beeinträchtigt mein Selbstbild. Ich bin doch die Erwachsene, ich müsste doch die Kompetenz haben, die Situation zu steuern. Der Grund, weshalb sich nie etwas entwickeln konnte, habe ich in den vergangenen Jahren immer wieder zu analysieren versucht. Die Tochter ist weder anstrengend, noch frech, noch eifersüchtig. Das absolute Gegenteil ist der Fall: Sie ist hoch angepasst, passiv, bejaht alles (immer!), äussert nie eine eigene, abweichende Meinung, ist extrem rücksichtsvoll, hat nie einen Wunsch an mich, fragt kaum was, macht nie einen Vorschlag etc. Dabei wirkt sie aber nicht verschüchtert oder ängstlich. Sie ist einfach so!!!! Bemerkenswerterweise hat sie eine sehr lebendige, mutige und freche Freundin, die sie aber an den Wochenenden bei uns nie treffen will, obwohl sie nur einige Kilometer auseinander wohnen. So "hängt" sie den ganzen Tag bei uns herum und wartet, bis ihr Vater einen Vorschlag macht und macht dann bereitwillig mit, egal was er vorschlägt. Nie zeigt sie dabei Unlust. Auch wenn es um einen Besuch bei der Grossmutter geht. Sie ist immer fröhlich und hat nie ein Problem. So herrscht den ganzen Tag absolute Harmonie zwischen den beiden. Seit wir zusammen sind, hatte mein Mann nie eine Konfrontation mit ihr. Er musste nie die Stimme erheben. Sie macht(e) immer das, was er von ihr verlangt (Hausaufgaben, Zähneputzen und Duschen gehen, ins Bett gehen etc.) Das ganze kam/kommt mir so unnatürlich vor. Das ist doch kein Vater/Kind Verhältnis! Und gerade weil sie fast wie ein erwachsender Partner wirkt, fühle ich mich unwohl und wie das dritte Rad am Wagen, auch wenn mein Mann sich grösste Mühe gibt, mir auch an diesen Wochenenden Aufmerksamkeit zu schenken. Ich kann es einfach nicht verstehen. Ich hatte in der Vergangenheit mit sehr vielen Kindern zu tun. Aber mit diesem - Ich nenne es mal "aalglatten" kindlichen Charakter - komme ich einfach nicht zurecht. Ich hoffe schon lange, dass die Pubertät eine Entwicklung bringen wird. Aber bis jetzt weist nichts darauf hin. Neuerdings kommt erschwerend dazu, dass die EX plötzlich unter Vorwänden Ferien und Wochenende verlängert ("Ich bin im Ausland und komme erst am Dienstag zurück) und meinen Mann vor Tatsachen stellt. Bisher hat er sich nicht getraut, sich zu wehren, da sie ihn sonst mit dem Anwalt droht. Dabei hat er in all den Jahren alle Abmachungen immer zu 110% eingehalten. Ich glaube, es gibt keine Lösung. Ich muss wohl einfach ausharren bis sie erwachsen ist. Ich kann mich auch täuschen: Vielleicht hat jemand einen Gedanken, den ich mir bis jetzt nicht gemacht habe?
Babell
Forenlegende
Forenlegende
Beiträge: 906
Registriert: 21.05.2010 15:04

Re: Ein super braves Stiefkind

Beitrag von Babell »

Hallo Joan

Das ist jetzt doof. Ich habe ganz viel geschrieben und dann musste ich wegen meiner Kinder weg und mich erneut anmelden und alles Geschriebene ist jetzt weg.

Dann mache ich jetzt eine Zusammenfassung von dem Roman. Das ist eh besser.

Erstens: (nicht ganz ernst gemeint) ich hätte oft in meinen heimlichen Träumen selber sehr gerne so ein braves, eigenes Kind. :wink: Dann hätte ich so angenehme, ruhige Tage und die Kinder wären selber beschäftigt, würden den Abwasch und die Wäsche machen und den Boden putzen, aber ein Stiefkind, das so brav ist, kann ich mir nicht als sehr angenehm vorstellen! Wo ist da - wie du selber auch schreibst- die Beziehung zwischen Stiefmutter und Stiefkind?

Dafür scheinen für mich drei Möglichkeiten die Ursache zu sein und die stelle ich mal einfach so auf:
Sie scheint sich irgendwann mal vorgenommen zu haben, dass sie nie eine neue Frau an der Seite ihres Vaters akzeptieren werde.
Einer der Elternteile hat den unausgesprochenen oder ausgesprochenen Wunsch an sie, dass sie der neuen Frau ihres Vaters keine Gefühle entgegen bringen dürfe.
Einer der Elternteile hat den unausgesprochenen oder ausgesprochenen Wunsch an sie, dass sie die neue Frau ihres Vaters unbedingt gerne haben muss. Sympathie kann man aber nicht erzwingen und dadurch kommt sie in einen inneren Konflikt, macht sich vielleicht Vorwürfe. (es ginge euch beiden also gleich mit dem jeweils anderen :wink: )

Meine Stieftochter war bis zu ihrer eigenen festen Beziehung immer in Konkurrenz zu mir gewesen. Das war über Jahre sehr anstrengend und ich geriet wegen ihrer Aktionen und dem Verteidigen meiner Grenzen oft mit meinem Mann aneinander. Als ich selber Mutter wurde, gab es eine kurze Beruhigung der Situation. Sie schien bemerkt zu haben, dass ich in der Erwachsenenwelt an die Seite ihres Vaters gehöre und in der Kinderwelt durfte sie an seiner Seite sein, sowie ja die anderen Kinder auch.
Seit wir zusammen sind, hatte mein Mann nie eine Konfrontation mit ihr.
Das ist oft so, bei den Wochenend-Vätern. Es ist auch ein bisschen traurig für die Väter, weil es doch auch ein bisschen das Zeichen eines fehlenden Vertrauens des Kindes zum Vater ist. Gerade wenn ein Kind so sehr am Vater hängt, wäre doch eigentlich ein Wechselmodell besser oder dass das Kind ganz zum Vater ziehen könnte. Dies ist aber leider oft nicht möglich, weil die Männer in unserer Gesellschaft mehr verdienen als die Frauen.
Neuerdings kommt erschwerend dazu, dass die EX plötzlich unter Vorwänden Ferien und Wochenende verlängert ("Ich bin im Ausland und komme erst am Dienstag zurück) und meinen Mann vor Tatsachen stellt. Bisher hat er sich nicht getraut, sich zu wehren, da sie ihn sonst mit dem Anwalt droht.
Oje, das finde ich immer sehr schade, wenn jemand aus Angst auf etwas reagiert. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber. Er denkt vielleicht, wenn er dieses Mal nachgebe, werde sie nächstes Mal ihm einen Gefallen machen, aber ob sie das tun wird, ist fraglich, wenn es doch einmal einreisst. Ist ja auch für das Kind nicht so angenehm, oder? Vielleicht merkt sie ja das und ändert es wieder, aber man kann nicht einfach davon ausgehen, dass sie es wieder ändert.

Falls dich das stört, dann würde ich das Gespräch mit ihm suchen, aber nicht zwischen Stuhl und Bank oder wenn er müde von der Arbeit kommt, sondern so, dass er dir wirklich auch zuhören kann. Dann solltest du aber nur von deinen Bedürfnissen und Wünschen reden und nicht auf die Exfrau schimpfen. Also keine Beschuldigungen a la: "deine Ex überzieht die Tage und das ist doch daneben". Oder: "du solltest..." o.ä.. Rede nur davon, wie du dich dabei fühlst. (In Ich-Botschaften reden).

:)
Benutzeravatar
Ria
Moderatorin
Moderatorin
Beiträge: 537
Registriert: 20.03.2010 07:41
Wohnort: Stäfa
Kontaktdaten:

Re: Ein super braves Stiefkind

Beitrag von Ria »

Hallo Joan und willkommen im Forum!

Die meisten von uns Stiefmüttern sind anfangs hochmotiviert, mit dem neuen Partner und seinen Kindern eine Familie zu bilden, und strengen sich dafür auch sehr an.
Und wenn das keinen Erfolg bringt, oder eben die Anstrengungen ständig in Leere laufen, bleiben wir irgendwie frustriert zurück. (Dazu gibt es ein sehr empfehlenswertes Buch von Katharina Grünewald: "Glückliche Stiefmutter")

Über mögliche Gründe des Kindes, sich so zu verhalten, hat ja Babell schon geschrieben. Aber wir wissen es nicht wirklich.
Also ist es nur weise, wenn du es auf diesem Weg nicht weiterhin versuchst.
Auch wenn du die Erwachsene bist, kannst nicht du allein die Situation steuern. Das Kind ist schliesslich keine Marionette. Es muss auch dasselbe wie du wollen, damit ihr gemeinsam erfolgreich sein könnt. Wenn sie aber nicht will, kannst du tun, was du willst und alles "richtig" machen. Es funktioniert leider nicht.

Was sie dir damit aber unbewusst zeigt ist, dass du dich - bis jetzt - davon abhängig machst, wie sie sich verhält. Und das tut dir nicht gut.
Dass du dich dann wie das dritte Rad am Wagen fühlst, hat etwas mit DIR und deinem Rucksack zu tun. Da trifft sie dich an einer empfindlichen Stelle, die du aus der Vergangenheit mitbringst. (Das könnte man auflösen)

Wenn du dich gegen etwas wehrst wie
Sie ist einfach so!!!!
auch wenn dir das unnatürlich vorkommt, du kannst es nicht ändern! Nur dich aufreiben.
Auch das Verhältnis von ihr mit ihrem Vater ist etwas, das nicht in deine Verantwortung fällt. Das ist ihre Sache. Ich würde eher versuchen die Bewertung darüber wegzulassen und zu respektieren, dass das im Moment für die beiden der Weg ist. Anderenfalls belastest du nur die Beziehung.

Was dann?
Wenn du etwas Neues ausprobieren willst, könntest du dir mal überlegen, was du gerne machst und du dir vorstellen könntest, mit ihr und deinem Partner am Wochenende zu unternehmen. Es kann auch nur für 1-2 Stunden sein. Es geht darum, dass du DICH zeigst mit deinen Wünschen und Bedürfnissen, auch wenn SIE das nicht macht. Damit würdest du ermöglichen, dass ihr eine gute Zeit miteinander verbringt, bei etwas, das dir gefällt. Dann wärst du dir treu und authentisch. Du musst nämlich nicht wie sie all deine Wünsche zurückstellen.

Auch der Umgang deines Mannes mit seiner Exfrau würde ich ihm überlassen. Und damit meine ich, ihn wirklich frei wählen lassen, was für ihn dabei stimmt. Wenn er das aus deiner Sicht darf, stärkst du ihn damit.

Ich hoffe, dass dir das etwas bringt und wünsche dir die Gelassenheit, das anzunehmen, was du nicht ändern kannst. Erst dann kannst du gut für dich schauen, und das ist sehr wichtig!
Alles Gute Ria
Seit 27 Jahren Patchworkfamilienfrau und Coach für solche :-)
http://www.coacheria.ch
Dornenvogel
öfters hier
öfters hier
Beiträge: 77
Registriert: 28.10.2014 17:06

Re: Ein super braves Stiefkind

Beitrag von Dornenvogel »

hallo Joan,

auf deinen ersten Sätzen dachte ich mir, dass das Mädchen dich einfach ignorieren will mit ihrer "Überangepasstheit", aber da sie sich offenbar auch ihrem Vater gegenüber so verhält, frage ich mich, ob sie einfach Angst hat, den Vater zu verlieren wenn sie sich nicht "angepasst " verhält oder ob sie vielleicht auch von der Mutter dahingehend instrumentalisiert wurde?

Wisst ihr, wie sie sich in der Schule, bei ihren Freunden oder bei ihrer Mutter verhält?

Sicher gibt es* bravere" und " weniger brave" Kinder, vielleicht fehtl es dem Mädchen auch einfach an Selbstbewusstsein?

Mir kam dann noch spontan erwas in den Sinn:
auch ich war ein "überangepasstes" Kind. Ein Resultat einer ausserordentlich autoritären und religiösen Erziehung. Das Wort der Eltern war sankrosankt, Kinder hatten keine Persönlichkeit zu haben.
Ich wurde zwar wenig geschlagen von meinen Eltern, es war vor allem meine Mutter, die mich mit Liebesentzug unter Druck setzte. So waren Sätze wie:
" du hast uns sehr enttäuscht" oder " die Mama ist nun sehr traurig und muss weinen", später kam dazu " wir haben alles für dich gemacht und nun tust du uns das an.."
Auch bei den Enkeln wurde dieses Schema probiert, aber dort wagte ich es endlich zu intervenieren.
Sicher wollten meine Eltern immer nur das Beste für mich, aber der Eindruck nach aussen war ihnen wichtiger als meine Persönlichkeitsentwicklung.
Obwohl nahe dem Pensionsalter nehme ich mir heute noch das kleinste Stück Fleisch von der Platte wenn wir eingeladen sind oder Besuch haben. Nehme das günstigere Menu im Restaurant aus Angst unanständig zu sein... würde mich am Skilift niemals vordrängen, auch wenn mein Mann zwar mit mir angestanden aber dann 30m weiter vorne ist durch drängeln.
Bescheidenheit ist eine schöne Tugend, aber zuviel kann sehr hemmend und frustrierend sein.

Meine Mutter war hochbetagt und musste ihre letzten Lebenswochen ins Pflegeheim, da sie zuhause fremde Hilfe verweigerte. Ihre letzten zusammenhängenden Worte zu mir vor ihrem Tod waren: " wie konntest du mir das antun.." (Pflegeheim)

ich will dich nicht zumüllen mit meiner Geschichte Joan, es kam mir einfach so spontan in den Sinn, als du über deine Stieftochter schriebst.
Joan
Beiträge: 2
Registriert: 23.09.2020 09:50

Re: Ein super braves Stiefkind

Beitrag von Joan »

Vielen Dank Euch allen für Eure Gedanken! Vieles hat mich zum Nachdenken angeregt...

Was das Mädchen betrifft, so glaube ich, dass sie über eine grosse Frustrationstoleranz und Geduld verfügt. Sie ist tatsächlich zufrieden mit dem, was sie bekommt und zeigt deshalb wenig Eigeninitiative oder innere Motivation, etwas ins Rollen zu bringen oder etwas zu verlangen. Ich glaube nicht, dass sie sich besonders zusammenreisst und etwas vorspielt. Sie ist tatsächlich so, was mich sehr irritiert. Beispiel: Ich habe Lust auf einen Tee. Natürlich frage ich sie, ob sie auch einen will. Natürlich sagt sie zuckersüss und hochanständig: "Ou, ja gern. Danke vielmals!". Sie sagt immer Ja. Sie sagt nie Nein. Sie würde aber NIE, NIE selber auf die Idee kommen, einen Tee haben zu wollen um dann selber tätig werden und sich einen Tee machen. Sie würde nie von sich aus fragen, ob sie ins Bad könne. Sie wartet, bis mein Mann ihr sagt, wann dass Bad frei sei. Prompt geht sie dann ohne Widerrede und Verzögerung ins Bad. Fazit: Sie reagiert immer nur reaktiv und ihre Reaktionen sind sehr vorhersehbar.

Ich glaube, ich bin im Zwischenmenschlichen Kontakt gar nicht viel anders: Ich versuche auch, mit Höflichkeit und Rücksichtnahme auf andere Menschen zu zugehen. Vielleicht liegt hier der Hase im Pfeffer: Wir sind uns vielleicht zu ähnlich? Ich finde somit meine Rolle nicht, weiss nicht, wie auf sie zugehen. Denn mir kommt es komisch vor, wenn ich auf der gleichen Ebene mit der gleichen höflichen Zurückhaltung mit dem Kind umgehe. Es fehlt mir irgendwie die Differenz zwischen der Erwachsenen und dem Kind.

Wahrscheinlich ist es auch das, was mich irritiert in der Beziehung zwischen Vater und Kind. Da er sie nie ermahnen oder andere erzieherische Massnahmen treffen muss, hat ihre Beziehung beinahe die Qualität einer Partnerschaft auf gleicher Augenhöhe. Sein Umgang mit ihr unterscheidet sich nicht sehr von seinem Umgang mit mir. So drängt sich am Wochenende also eine dritte Person in unseren Alltag, fast als wären wir eine temporäre WG! Ich fühle mich dabei massiv unwohl, da ich einfach keinen Umgang mit der Situation finde - und das in meinen eigenen vier Wänden!

Seit sieben Jahren versuche ich nun, dem Problem auf den Grund zu kommen. Erkenntnisse stellen sich nur spärlich ein. Und damit ist mir immer noch nicht geholfen! Vielleicht muss ich das einfach noch etwas aushalten. Sie wird ja im nächsten Jahr bereits 15 Jahre alt. Vielleicht macht sie doch mal noch eine pubertäre Entwicklung durch und wird etwas eigenständiger. Zur Zeit sieht es nicht danach aus und ich habe Angst, dass sie noch mit 17 Jahren zu den Daten und den Zeiten, die die Eltern untereinander vereinbaren, brav zu uns kommt, weil es ihr gar nicht in den Sinn kommt, ihre Freizeit nach eigenen Wünschen zu gestalten. :(

Vielleicht hat jemand noch eine Idee, welche Rolle ich in dieser Dreierkonstellation finden könnte, in der es mir wohl wäre?

Danke weiterhin für all Eure Gedanken!
Antworten