Ich bin kein Opfer

 


Gabriela Braun im Mamablog am 3.2.2015 


 

Die Arbeit für eine Patchworkfamilie lohnt sich: Eine Mutter im Sandwich. Foto: Theresa Martell (Flickr)

Die Arbeit für eine Patchworkfamilie lohnt sich: Eine Mutter im Sandwich.
Foto: Theresa Martell (Flickr)

Ich lebe in einer Patchworkfamilie, bin einfache Mutter, zweifache Stiefmutter und sollte – glaubt man einem grossen Artikel der «SonntagsZeitung» – unter meiner Familiensituation leiden. Ja gar Opfer sein. Ich staunte nicht schlecht, als ich dies am Sonntagmorgen las.

Die Aussage des Textes mit dem Titel «Patchwork-Opfer» ist, grob zusammengefasst, dass Frauen sich plötzlich mit den Kindern des neuen Partners herumzuschlagen haben, sie die Mutterrolle für diese «fremden Kinder» übernehmen müssten (und dafür nicht mal ein Lob erhielten), sie deswegen vom näheren Umfeld unter kritischer Beobachtung stünden und es deswegen – und auch weil sie über all das nicht reden könnten – für die Stiefmütter «ein einziges Leiden» sei.

Ich muss gestehen, ich weiss nicht, wovon die Rede ist. Dabei glaube ich, bei dem Thema durchaus mitreden zu können: Seit neun Jahren schon lebe ich mit meiner Familie das Modell Patchwork, und ich habe etliche Bekannte, die ebenso leben. Damit meine ich Paare, die mit den eigenen Kindern oder jenen des Partners unter einem Dach wohnen. Solche Familien, meine eigene eingeschlossen, haben durch die zusammengeflickte Familiensituation durchaus auch grosse Hürden zu meistern.

Doch – und das ist ganz wichtig: Wir Stiefmütter übernehmen für die Kinder des Lebenspartners nicht die Mutterrolle. Brauchen wir auch nicht. Die Kinder haben eine Mutter, sie benötigen keine zweite, um Himmels willen. Das wollen zudem weder die betroffenen Kinder noch deren Mutter und Vater. (Auch das weiss ich aus eigener Erfahrung. Hätte sich damals während meiner Kindheit die langjährige Freundin meines Vaters als Ersatzmutter aufgespielt, hätte sie die Hölle erlebt.)

Aber ganz abgesehen davon, ist die Realität in den allermeisten Fällen eine andere: Wenn sich ein alleinerziehender Elternteil dazu entschliesst, mit dem neuen Lebenspartner zusammenzuziehen und eine Patchworkfamilie zu sein, handelt es sich meist um eine Mutter mit ihren Kindern – nicht umgekehrt. Das hat damit zu tun, dass nach einer Trennung oder Scheidung die Kinder meist bei der Mutter aufwachsen. Den Vater sehen die Kinder an den Wochenenden, eventuell dazwischen noch an einzelnen Tagen.

Die Gründung einer Patchworkfamilie bedeutet deshalb für alle eine Umstellung, am meisten aber für ihn: Er wohnt nun plötzlich mit einer neuen Familie zusammen. Mit Kindern, die nicht seine sind, die aber doch ständig Aufmerksamkeit fordern. Er hat zwar gegenüber ihnen nicht die Vaterrolle zu übernehmen, aber doch auch Verantwortung. Am Wochenende sieht er vielleicht zusätzlich seine Kinder. Er vermisst sie während der Woche, leidet darunter, mit den eigenen Kindern weitaus weniger Zeit verbringen zu können als mit jenen seiner Freundin.

Wie er und seine Lebenspartnerin mit solchen Gefühlen umgehen, ist entscheidend. Die Herausforderungen an sie sind zahlreich und weitaus mehr, als sie es sich zu Beginn jemals ausmalen würden. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass vor allem anfangs zwei Welten aufeinanderprallen, denn andere Familien bedeuten auch andere Sitten, Erziehungsstile, Tischmanieren, Traditionen. Zudem sind im Hintergrund immer auch die Bedürfnisse der Ex-Frau, des Ex-Manns, der Ex-Schwiegermutter.

Im Begriff Patchwork – das von Flickenteppich herrührt – hat das Wörtchen «work» durchaus seine Berechtigung. Dieses Familienmodell erfordert Schweiss und Arbeit aller Beteiligten. Ohne ist eine gemeinsame Zukunft unmöglich. Es ist darum sicher nicht verkehrt, gegenüber dem Lebenspartner, den Kindern und dem Umfeld tolerant, flexibel, geduldig und gesprächsbereit zu sein. Die Dramen kommen von allein.

Das Ergebnis all dessen ist eine Familie, die von verschiedenen Ecken herkommend eine neue, vertraute Gemeinschaft bildet. Patchwork-Opfer? Nein, sicher nicht. Ich bezeichne mich als Glückspilz. Trotz mächtig misslungenem Start ins Familienleben und den ersten drei Jahren als Alleinerziehende habe ich seit vielen Jahren dennoch eine eigene, zusammengewürfelte Familie. Die Arbeit dafür hat sich gelohnt.