Zürichsee-Zeitung vom 11.3.20
Familie Für die einen ist sie nur eine halbe Mutter, die anderen stellen übergriffige Fragen. Unsere Autorin ist Stiefmutter.
Mara Pfeiffer
Früher dachte ich, ob ich einmal Mutter sein werde, bestimme ich allein. Klar, gemeinsam mit meinem Partner und abhängig davon, was mein Körper dazu meint. Aber grundsätzlich habe ich nie bezweifelt, bei diesem Thema die Deutungshoheit zu haben. Das stimmt nicht mehr. Ich merke, wie mein Herz schneller schlägt bei der Frage, ob ich Kinder habe.
Ich bin Stiefmutter. Ich kann mich an den Moment erinnern, als ich den Begriff das erste Mal gehört habe. Damals erzählte ich einem Kollegen von meinem neuen Freund und dessen Kind, worauf er sagte: «Dann bist du jetzt eine Stiefmama.» Das kam mir absurd vor. Je länger das Mädchen Teil meines Lebens war, umso häufiger wurde ich gefragt: «Wie nennt sie dich?» Ich fand das bizarr. Sie nannte mich bei meinem Namen und ich sie bei ihrem. Es brauchte keinen Begriff, um das Band zwischen uns zu definieren. Wir wuchsen auch ohne ein besonderes Wort füreinander Tag für Tag mehr zusammen.
Gerade zu Beginn war die Situation für mich dennoch oft überwältigend. Mein Mann und ich hatten nie längere Phasen ohne das Kind. Seine Tochter war acht Jahre alt, als wir uns kennen lernten. Ich hatte, so fühlt sich das an, keinerlei Vorbereitungszeit, obwohl wir uns natürlich Zeit gelassen haben, bis ich die Kleine, die abwechselnd bei ihrer Mutter und ihrem Vater lebt, zum ersten Mal traf. Trotzdem, sie war von Anfang an da. Das war wunderbar und beängstigend zugleich.
Doch etwas ist anders
Wie jener Tag, als das Mädchen zum ersten Mal fragt, ob sie nachts bei Papa und mir schlafen darf. Während mein Freund schnell unter seiner Decke träumt, wählt sie wie selbstverständlich meine Seite, kuschelt sich an mich und schläft bald mit ihrem kleinen Kopf auf meiner Brust ein. Eine heftige Liebe trifft mich ohne Vorwarnung. Schon da hat mein Herz beschlossen, dieses wilde Mädchen bei sich einziehen zu lassen.
Doch etwas an dieser Liebe ist anders. Ich betrachte die Züge des Mädchens und denke an die Frau, die es zur Welt gebracht hat. Mit der mich nichts verbindet ausser, dass ich den Mann liebe, den sie einst geliebt hat. Und ebendieses Kind, das völlig ungeplant in mein Leben gekommen ist und für das ich plötzlich Verantwortung empfinde. Wohin dieser Moment führt, kann ich damals nicht ahnen, aber in jener Nacht lasse ich mich auf diese Beziehung ein.
Womit ich von Anfang an gefremdelt habe, ist der äussere Blick auf unseren Bund. Ich habe Familie früh als ein offenes soziales Konzept begriffen, vielleicht auch, weil die Beziehung mit meiner Mutter schwierig ist. Wenn ich mich an meine Kindheit und Jugend erinnere, gab es viele Frauen, die mich geprägt und geliebt haben. Deshalb war mir das Sprichwort immer sehr nah, wonach es ein Dorf braucht, um ein Kind im Heranwachsen zu begleiten. Dass die Kinder meiner Schwestern und Freundinnen eng zu meinem Leben gehören, habe ich stets als Privileg empfunden. Doch während Rollen wie die als Tante oder Gotte positiv konnotiert sind, prasseln zu der neuen als Stiefmutter ungefragt die absurdesten Theorien auf mich ein. Wie oft muss ich mir die Frage gefallen lassen, wieso ich das Kind einer Fremden mit auf ziehe, nur um «am Ende mit leeren Händen dazustehen».
Als wir zu dritt zusammenziehen, erleben das zur Teenagerin herangewachsene Kind und ich unsere komplizierteste Phase. Während sie nichts dabei findet, unsere Klamotten zu verwechseln, macht mich das wütend, dafür nervt sie meine Ordnungsliebe. Weil wir beide emotionale Hitzköpfe sind, setzen wir uns heftig und schonungslos auseinander. Das ist unglaublich hart für alle, auch für ihren Papa, mit dem ich inzwischen verheiratet bin. Am Ende lernen wir an diesen Konflikten die wichtigste Lektion: Wir können einander nicht mehr verlieren. Streit ist eine Disziplin, die zum Familienleben dazugehört, aber er kann uns nicht zerstören.
Wenn ich mein persönliches Umfeld ausnehme, empfinden mich Eltern meistens als Menschen ohne Kind - Kinderlose jedoch rechnen mich der Fraktion der Eltern zu. Beide Sichten sind so wahr, wie sie falsch sind. Nein, ich habe kein Kind unter dem Herzen getragen, ja, in letzter Instanz sind Mama und Papa für das Stiefkind verantwortlich. Und doch lebe ich seit zehn Jahren ein Leben mit Kind. Ich habe sie ins Bett gebracht und ihr Geschichten vorgelesen, mit ihr Hausaufgaben gemacht, für sie gekocht, Zöpfe geflochten und sie in meinen Armen gewiegt. Das Kind mag nicht aus mir gekommen sein - und doch ist es seit langer Zeit ein Teil von mir. Das ist ein überwältigendes, tolles Gefühl.
Dennoch gehört wenig so klar zu dieser Rolle, wie loslassen zu können. Das ist mir anfangs schwergefallen. Als Stiefmutter gibt es Situationen, in denen ich spüre, ich muss zurücktreten, weil dieser Part seine Grenzen hat. Das gilt in Momenten, die ihre Eltern immer verbinden werden, wie Geburtstage; wenn Erinnerungen ausgetauscht werden, die vor mir entstanden sind. Diesen Abstand zuzulassen, musste ich lernen, so, wie sie meine Grenzen verstehen musste.
Wir nennen uns Steppy
Von aussen wird in die Rolle als Stiefmutter oft ein Druck hineingelesen, auch ein eigenes Kind zu kriegen. Als würde ich statt meiner Gene eine Lücke im System hinterlassen. Die Frage «Willst du nicht auch ein richtiges Kind?» fühlt sich für mich extrem übergriffig an. Nichts ist falsch an dem, was ich habe. Ich habe dieses Thema in grosser Ruhe mit mir verhandelt. Habe das kleine Mädchen im Schlaf beobachtet, die Mutter und den Vater in ihr erkannt und mich gefragt: Möchte ich das auch, einen neuen Menschen, halb er, halb ich? Ich konnte frei von Erwartungen abwägen, wie wichtig das Thema für mich wäre, wie wichtig mir andere Dinge sind - und die Idee schliesslich leichten Herzens loslassen.
Ich bin Mutter - und ich bin es doch nicht. Natürlich erkenne ich die Unterschiede zwischen mir und den Geburtsmamas, aber ich wünschte, sie würden umgekehrt die Gemeinsamkeiten sehen, die auch da sind. Manchmal fühlt es sich an, als ob ich allein mit dem Begriff Stiefmutter jemandem etwas wegnehmen würde, und das ist absurd, zumal nicht einmal ich es war, die ihn sich gewünscht hat: Es war das kluge, liebende Mädchen, das eines Tages zu mir kam mit dem Wunsch, ein Wort einzuführen, um über mich zu reden oder mich seinen Freunden vorzustellen. Um ein Wort zu haben, das diese besondere Beziehung beschreibt - das ist nun wirklich sehr schön. Weil es ein sehr sperriges ist, nennen wir uns gegenseitig Steppy, und das gehört nur uns beiden.
Familie hat viele Gesichter: Mara Pfeiffer mit ihrem Ehemann Alexander und ihrer Stieftochter. Foto: Thomas Pirot
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