Sandra

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Bernina

Sandra

Beitrag von Bernina »

Ich komme mir blöd vor, wenn ich schon wieder einen Thread eröffne, doch seit einigen Tagen hat hier niemand mehr irgendwas geschrieben. Da hat mir richtig was gefehlt. Ich schätze dieses Forum sehr und mit einigen fühle ich mich sehr verbunden.

Viellicht ist einigen der Gesprächsstoff ausgegangen - wir haben ja sonst nie Probleme :wink: - so möchte ich hiermit wieder ein Thema eröffnen.

Ihr habt vielleicht die Sache mit Sandra mitbekommen, welche nach Brasilien ausgeschafft werden sollte. Was das Mädchen über seine Mutter erzählt, erinnert mich sehr an die Mutter unserer Jungs. Unsere Jungs wollen ja auch zum Vater, weil sie es bei der Mutter nicht mehr aushalten. Auch wie die Behörden reagieren (resp. nicht oder falsch) kommt uns sehr vertraut vor. Aus diesem Grund beschäftigt mich diese Story sehr.

Wie denkt ihr darüber?

Ich bin übrigens als Kind mehrmals von zu Hause weggelaufen. Mit ca. 14 wollte ich meine Mutter bei der Polizei anzeigen und in Heim gebracht werden. Ich las damals wohl zuviel Hanni und Nanni und hatte eine eher romantische Vorstellung von Heimen) Trotzdem, ich kann sehr mit Sandra mitfühlen.
baboe
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Beitrag von baboe »

Hallo Bernina,

Ich kenne die Geschichte mit Sandra leider nicht.

Ich staune, was du mit 14 gemacht hast! Dass du schon so selbständig warst, erstaunt mich und dass du so verzweifelt warst, das ist so traurig.

Herzlich

Babö
Habe fünf Kinder im Alter von 11,10,8,6 und 4. Die drei Grossen sind von meinem Mann aus erster Ehe. Die beiden Kleinen sind Gemeinsame. Alle leben seit 4 Jahren bei uns - und das find ich toll!
Bernina

Beitrag von Bernina »

Hallo Baboe

Nein, selbständig war ich eben noch gar nicht. Meine Mutter hatte ja kaum Zeit für mich. Ich konnte mich schon sehr früh alleine beschäftigen, bin zum Glück sehr kreativ, ich wurde aber ständig bevormundet und Klein gehalten, durfte mich nicht enwickeln, durfte nie weg, mich mit Gleichaltrigen treffen. Ausser mit solchen, die ebenso erzogen wurden, aber furchtbar langweilig waren. Ich wurde abgeschottet und behütet und zu etwas ganz besonderem erzogen. Danke, war so etwas wie die Lachnummer in der Klasse. Schlimm!

Ich habe rebelliert wie ich nur konnte, wurde aber sofort wieder von meiner Mutter erpresst, bedroht, dass ich mich immer wieder verkroch. Bin wahrscheinlich bereits als Jugendliche depressiv geworden. Mein Vater war mir auch keine Hilfe, er musste sich auch gegen meine Mutter wehren. Ich spürte instinktiv, dass da was nicht stimmt. Eine Lehrerin wollte mir mal helfen, aber ich stand so unter dem Einfluss meiner Mutter, dass ich sie gar nicht verstand.

Wir hatten oft Szenen, da ich behauptete, alle anderen Jugendlichen dürfen das und das ... nur ich nicht. Und wie reagieren die Mütter: die wissen ja genau, dass die anderen das nur so erzählen, dies aber in Wirklichkeit gar nicht stimmt. Oft war das ja auch so. Doch Kinder können sehr wohl unterscheiden, wenn man solche Ausreden als Druckmittel verwenden kann und wenn es der Wahrheit entspricht.

Das erste Mal bin ich abgehauen, da war ich etwa 3 Jahre alt. Ich fuhr mit dem Dreirad zu unserem Italienergeschäft und hoffte, eine Italienerfamilie würde mich aufnehmen. Mir hat deren fröhliche Art so gefallen, die haben mir immer in die Wangen geknuffen und gesagt, "que bella Bambina" Oh wie ich diese Leute liebte. Dummerweise hat mich eine Kundin erkannt und so haben sie meiner Mutter telefoniert. Ich habe dann geschrieen, dass ich nicht nach Hause will. War ja nur ein kleines Ding das gar noch nicht weiss, was es da tut. Bekam dann eins auf den Hintern - war ja so üblich damals - und wurde ermahnt das nie mehr zu machen, sonst wehe ...!

Tja und nun Sandra. Auf der Website von www.vev.ch fand ich ganz viele Infos. Ich kann das Mädchen sehr gut verstehen. Obwohl verschiedentlich die Mutter verteidigt wird, so glaube ich eben doch eher dem Kind.
baboe
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Beitrag von baboe »

Hallo Bernina,

Unglaublich, wie einsam musst du dich gefühlt haben!

Muss kochen gehen, melde mich dann nochmals

Herzlich

Babö
Habe fünf Kinder im Alter von 11,10,8,6 und 4. Die drei Grossen sind von meinem Mann aus erster Ehe. Die beiden Kleinen sind Gemeinsame. Alle leben seit 4 Jahren bei uns - und das find ich toll!
Bernina

Beitrag von Bernina »

Hallo Baboe

Nein, ich fühlte mich nicht einsam. Ich verkroch mich in meine eigene Welt, die zwar nichts mit der Realität zu tun hatte, glaubte viel zu lange daran, dass mich irgendwann doch ein Prinz retten wird. Eben wie bei Schneewittchen. Ich spielte lange mit Puppen, wünschte mir immer, sie würden über Nacht lebendig, damit ich meine eigene kleine Familie hätte. Später dann nähte und strickte ich Puppenkleider, experimentierte mit Stoffen und Strickmuster. Ich hatte immer etwas zu tun. Aber rückblickend und von aussen gesehen war ich natürlich schon einsam und wurde so zu einem richtig komischen Vogel. Aber ich fühlte mich weggesperrt, so wie Rapunzel.

Etwas positives hat das Ganze. Ich habe eine ganz wertvolle aussergewöhnliche Beziehung zu meiner Tochter. Wir sind eher wie zwei Schwestern, ich bin einfach die ältere. Und auch meine Tochter schätzt unser ganz spezielles Verhältnis. Es ist lustig. Früher behauptete man im Dorf, ich würde mein Kind antiautoritär erziehen und werde damit dem Kind keinen Gefallen tun und ich werde schon noch sehen, wohin das führt.... Lach! wenn ich heute so meine Tochter betrachte.
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Delphia
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Beitrag von Delphia »

Hallo Bernina

Wenn ich Deine Geschichte so lese, erkenne ich mich in einigen Sachen wieder. Bei mir war es einfach so, dass mein Vater die Woche hindurch nicht zu Hause war, sodass meine Mutter fast alleinerziehend war.

Im Nachhinein bin ich sehr froh, früh von zu Hause weggegangen zu sein -> Sprachaufenthalte. Das hat mein Horizont völlig geöffnet.

Liebe Grüsse
Delphia
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Probleme? nein! Herausforderungen: ja :-), manchmal aber völlig hoffnungslos...
Bernina

Beitrag von Bernina »

Hallo Ihr alle

Dass meine Ehe in Brüche geht, war rückblickend vorauszusehen. Ich habe in meinen Ex-Mann ganz viel intepretiert, was ich bei meinen Eltern resp. Kindheit vermisste. Doch eine richtige Partnerschaft lebten wir eigentlich nicht.

Wie sieht ihr das, die schon mal verheiratet waren. Würdet ihr das Scheitern Eurer Ehe der schwierigen Kindheit zuschieben?

Hätte mir meine Mutter mehr Freiheiten gelassen, wäre ich auch gelassener auf Männer zugegangen.
Bernina

Beitrag von Bernina »

Habe nun im Internet beim www.vev.ch gesehen, dass die eine Kundgebung organisieren. Wow, ich finde das toll, würde mir wünsche, dass das auch jemand für uns machen würde.

Wir gehen mit unseren Kindern dorthin. Wir haben diese Geschichte mit den Kindern thematisiert. Meine Tochter findet es mutig, was dieses Mädchen macht und für die Jungs hoffen wir, dass sie dadurch Kraft schöpfen können und auch Mut, für ihre Zukunft weiterzukämpfen.
Nadia
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Beitrag von Nadia »

Hallo Bernina

Ich bin mit einem Bein aus den Ferien zurück und werde mich nächstens über die Geschichte Sandra informieren.

Ich musste lachen ... ich bin auch als dreijährige mit meinem Dreirad abgehauen. Mit meinem roten Lackpuppenkoffer hinten drauf.
Kam leider nur bis zum Trassencafe an der Ecke.

Hanni und Nanni waren meine Lieblinsbücher die ich verschlungen habe.
Was hätte ich drum gegeben einmal so einen Streich zu machen. Oder eine Mitternachtsparty mit Ananas und Sardinen aus der Dose. Nur schon die Kombination ... FÜRCHTERLICH

Du ja ... fühlte mich auch oft alleingelassen. Durch die Sucht meiner Mutter waren wir abgeschottet. Alles mussten wir geheim halten. Nichts erzählen und niemanden mit nach Hause bringen. Denn ... so droht mein Vater uns immer " Man wird uns wegholen von zu Hause "
Mein erster Freund wurde mir verboten. Seine Briefe unterschlagen.
Mit 19 ging ich nach England. Hab`s zu Hause nicht mehr ausgehalten.
Zurück traf ich ihn wieder ... den ersten Freund. Wurde schwanger. Wurde erpresst und psychisch gefoltert bis ich abgetrieben hab. Von meinem Vater.
Danach bin ich weg von zu Hause. Hab aber immer nur Beziehungen gehabt die mich ausgelaugt haben. War immer die Starke.
Hab mit dreissig meinen Mann geheiratet. Er war süchtig. Die Ärzte sagten er kann keine Kinder zeugen. Mit 35 starb er zu Hause in meinen Armen. Da war ich in der 16. Woche schwanger mit den Zwillingen.
Bis zur Geburt hab ich durchgehalten. Dann kam der Zusammenbruch.
Machte eine Therapie und lernte vor sechs jahren zum ersten Mal einen Mann kennen der mich wirklich liebt. Und nicht süchtig ist oder Verhaltensgestört.
Ich habe heute noch Mühe Nähe ständig zu ertragen. Brauche immer wieder Distanz.
Ich bin glücklich und versuche meinen Kindern zu geben was ich immer haben wollte. Und der Neid meiner Mutter ... der bestätigt mir das ic es richtig mache.

Ich wünsche allen einen schönen Abend .... liebe Grüsse nadia
Bernina

Beitrag von Bernina »

Hallo Nadia

Wow, das ist eine Geschichte. Bewundere dich. Melde mich separat dazu.

Betr. Sandra, so gibt es morgen eine Kundgebung in Aarau.

Und jetzt muss ich wieder in die Küche, habe vorhin eine Flasche Citro ausgeleert. Es wird mir also die nächste Zeit nicht langweilig.

Gruss Bernina
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Nin
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Beitrag von Nin »

Nadia, auch von mir Bewunderung.

Meine Geschichte kommt mir dazu so banal vor. Ich bin das dritte Kind. Meine Eltern mussten heiraten, da war meine Mutter 19 und schwanger. Als ich geboren wurde, war sie 26. Ich war nicht erwünscht, ein Unfall. (O-Kommentar meines Vaters: Deine Mutter war zu blöd zum Rechnen.)

Ich bin, wie man so sagen würde, aus gutem Hause. Vater Bankdirektor, dann noch mehr Karriere, Mutter Hausfrau. Klavier, viel Lektüre, Mozart Sonntags beim Mittagessen. Gut in der Schule. Brav.

Die Ehe meiner Eltern war eine Katastrophe. Nach aussen heile Welt, zu Hause immer Krach. Mein Vater ein Geizhals. Sehr klug. Meine Mutter, sehr hübsch, sehr gesellig und beliebt. Hervorragend geeignet für die Rolle als Frau an seiner Seite. Aber wie eifersüchtig war er auf die Aufmerksamkeit, die ihr einfach zufiel. Soviel Streit... einmal hat mein Vater meine Mutter aus dem fahrenden Auto geschmissen. Nachdem meine Geschiwster ausgezogen waren, war ich allein mit den Eltern. Ich hab dann eine Klasse übersprungen: so konnte ich schneller aus dem Haus, studieren in Genf, wie meine Schwester.

Die Rebellin unter den Kinder war meine Schwester. So einigermassen jedenfalls. Eigentlich waren wir alle drei Kinder brav: Abi und studiert, alle. Alle mit 18 aus dem Haus.

Mit 18 war ich hier in Genf, an der Uni. Mit 19 meinen späteren Mann kennengelernt. Vorher hab ich immer gedacht, für mich interessiert sich sowieso niemand. Meine Schwester war soviel klüger und schöner. Er war 23 und machte Abendabitur. Meine Schwiegereltern waren begeistert - er wr immer ihr Sorgenkind gewesen.

Heirat mit 25 - mir stand die Ausweisung aus der Schweiz bevor... ich hatte schon extra ein zweites Studium drangehängt, weil er nicht heiraten wollte. Erst, als ich einiges versucht hatte und einfach keinen Permis bekam, war er zur Hochzeit bereit. Wir waren schon sechs Jahre zusammen, drei Jahre in der gemeinsamen Wohnung. Hätte ich gewartet, wäre es nicht um Bleiben oder Nicht-bleiben in Genf geblieben? Ich weiss nicht.

Ausgebrochen bin ich erst mit 35. Zuerst übers Internet. Ich war lange genug brav gewesen. Immer alles getan, was er wollte. Alle Konflikte vermieden.

Mein Bruder und meine Schwester sind auch geschieden: ich galube, unsere Eltern haben uns eine derartige Scheinwelt vorgelebt, dass keiner von uns in der Lage war, eine echte Beziehung aufzubauen. Meine Eltern sind inzwischen auch geschieden, mein Vater hat wieder geheiratet. In meiner Ehe habe ich nicht wirklich gelebt.

Bis heute fällt es mir schwer. mich zu behaupten: sei es meinem Ex gegenüber oder meinen Stiefkindern.

Eine ganz banale Geschichte, halt.
Nadia
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Beitrag von Nadia »

Nin

Die Bewunderung gehört nicht nur mir. Sondern auch dir und Bernina und jedem der es geschafft hat sich aus dem Schatten der Kindheit zu lösen.

Ich wünsche dir viel Kraft und alles Glück der Welt ... Lg nadia
Bernina

Beitrag von Bernina »

So, nun kann ich mich Euren Geschichten widmen.

@ Nadia
Deine Geschichte finde ich aber auch happig und ich bewundere dich, wie du mit 19 nach England gingest. Das hätte ich mich nie getraut.

Ich war vermutlich auch mal schwanger, mit etwa 20ig, hatte meine Periode während fast drei Monate nicht bekommen und das war aussergewöhnlich. Ich wollte es nicht wissen, verdrängte es. Da ich ja immer Kinder adoptieren wollte, hätte ich das Kind ausgetragen und freigegeben. Mein Kind sollte dort aufwachsen, wo es geborgen aufwachsen kann. In meiner Familie wäre ich mit einem Kind vollends verloren gewesen.

@ Nin
Auch in deiner Geschichte ist mir vieles bekannt. Meine Mutter spielte die Intellektuelle, die Mehrbessere. Gegen aussen spielte sie die perfekte Familie und hinter der Fassade sah es ganz anders aus. Meine Eltern waren so konträr. Anstatt das als Bereicherung oder Chance zu betrachten, hatten sie sich gegenseitig vernichtet. Jeder auf seine Art.
Damals war mir mein Vater oft peinlich, er machte immer auf Clown und Witze die irgendwie unter die Gürtellinie zielten. Komischerweise hatten die anderen nicht so Mühe damit, weils nicht so pervers rüberkam. Er war ein Dorforiginal und man hat ihm viel verziehen. Ich schämte mich trotzdem.

Ja, ich war auch das brave Kind, hatte auch eine lange Ausbildung gemacht. Der Mutter zuliebe. Ballett, Klavier, Geige. Für Harfe reichte dann das Geld irgendwie nicht mehr. Dabei wollte ich eigentlich Verkäuferin werden. Aber das getraute ich mir nicht zu sagen. Verkäuferin ist was für dumme.

Immer diese Scheinwelt. Und dieses Scheingetue. Kein Wunder, hatte ich nie Freunde, ich war ja nie echt. Ich musste auch ein paar Mal scheitern um zu mir selber zu finden.

Ihr beide habt ja nun euren Traumpartner gefunden. Trotzdem empfehle ich Euch den Film: Die Brücke am Fluss mit Clint Eastwood und Meryl Streep. Da geht es um Entscheidungen fällen. Nach diesem Film wusste ich, was zu tun ist.

Ich finde es ganz toll, wie Ihr über Eure Vergangenheit berichtet habt. Und es ist für mich tröstlich, dass ich nicht die einzige bin, die "aus gutem Hause" (Nin) gescheitert bin.
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