Texte aus meiner Trennungszeit

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Nin
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Texte aus meiner Trennungszeit

Beitrag von Nin »

Also, ich schreibe ein bisschen. Vor allem auf französisch, da habe ich auch schon veröffentlicht, aber manchmal auch auf deutsch oder englisch. Während des letzten Jahres in der akuten Trennungsphase habe ich ein paar fiktionale Texte verfasst, um auszudrücken, wie ich mich gefühlt habe. Ich weiss nicht so recht, wohin damit hier und auch nicht so recht, warum, vielleicht, weil ich wissen möchte, ob irgendwie das Gefühl, das ich zu vermitteln versucht habe, rüberkommt.
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Nin
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Beitrag von Nin »

Für meinen Schatz geschrieben:

Ein ganz beliebiger Tag, wie hunderttausend andere Tage, seit es die Welt gibt, ein Tag, an den niemand sich erinnern wird. Eine ganz beliebige Frau. Im Grunde völlig banal, mittelgross, mittelschwer, mittelmässig, würde sie selbst sagen, in den Momenten, in denen sie es sich zugestehen würde. Nicht einmal wichtig genug, um ihr einen Namen zu geben, eine Frau einfach, nicht mehr jung, noch nicht alt... Statistik.
Vielleicht regnet es, vielleicht scheint die Sonne, wahrscheinlich aber ist es einfach nur ein Tag, an dem nicht einmal das Wetter erinnerungswürdig ist.
Sie sieht aus dem Fenster und wartet. Vielleicht ein Bürofenster, vielleicht ein Küchenfenster, sicherlich so halbwegs geputzt, ein modernes, umweltfreundliches, energiesparendes Doppelglasfenster. Sie faltet Wäsche oder schält Karotten oder trinkt Kaffee.
Es ist egal.

Sie wartet.

Was immer sie tut, jene Tätigkeit, die sie selbst vergessen wird, ist nur ein Mittel, ihre Finger beschäftigt zu halten, jenes Warten zu überbrücken, das ihr ganzes Wesen ausfüllt. Und sie erinnert sich.

Eigentlich hat sie noch fast kein Material für gemeinsame Erinnerungen. Und doch sind die Momente kristallklar. Sie kann die Anzahl hellgelber Stiche auf dem kleinen Etui, in das er seinen Füller tut, nachzählen vor ihrem inneren Auge. Sie weiss, welche Haare seiner Augenbrauen widerspenstig herausragen, sie weiss, wie sich seine Haut durch den Stoff anfühlt. Sie weiss, dass seine Stiefel keine Schnürsenkel haben und dass er ein Messer in einer Weise handhaben kann, die Zärtlichkeit ausdrückt.

Sie wartet.

Die Erinnerungen, die der Tag in seiner Beliebigkeit noch nicht verschluckt hat, könnten sie lächeln machen, oder hoffen oder träumen. Nicht heute. Hinter der Mechanik ihrer Hände verbirgt sie ihre Angst. Hinter den heraufbeschworenen Erinnerungen versteckt sie die Furcht, nie zu wissen, wie es sich anhört, wenn er die Schlüssel umdreht, oder welchen Fuss er zuerst ins Wasser steckt.

Sie wartet.

Andere Erinnerungen, an gelutschte Daumen und Sandschlachten auf dem Strand der Toskana, an bleischwere Arme, und kilometerlange Wege in durchwachten Nächten. Erinnerungen an Füsse, die blau waren, weil so oft Blut abgenommen worden war und endlose Erklärungen, warum es auf Jupiter nicht regnet oder Orangen orange sind. Die Angst, die einen Erinnerungen mit den anderen zu bezahlen, und auch mit den Gesten der Mechanik nicht mehr über die Leere des Augenblicks hinwegzutäuschen.

Sie wartet.

Ein ganz besonderer Tag, an dem jeder Sonnenstrahl, sei er noch so klein, eine Erinnerung wecken wird, ein Tag, der unvergessen bleibt in seiner Wiederholbarkeit. Nur die Frau ist die gleiche, und jetzt gleich, wenn sie den Blick vom Fenster wendet und die Beschäftigung ihrer Hände beendet, wenn sie sich der Beliebigkeit ihres Tages bewusst werden wird, jetzt gleich hat sie eine Minute überlebt. Es ist ein Küchenfenster. Sie schält Karotten. Sie ist kleiner als mittelgross. Es ist nicht egal.
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Nin
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Beitrag von Nin »

Nach einer sehr hässliche Szene mit meinem Nochmann:

Langsam zündete er sich eine Zigarette an. Die junge Frau sass ihm gegenüber, die Füsse an den Stuhl gefesselt, die Hände fest im Rücken zusammengebunden, die Augen verbunden, Aber er wusste, dass sie das Knistern des Tabaks hörte, das leise Zischen des Feuerzeugs, dass sie den Rauch riechen würde. Er würde sie nicht verbrennen, er dachte gar nicht daran, ihre milchweisse Haut mit der Asche zu beschmutzen. Er wollte nur, dass sie Angst hatte, genau davor, dass sie zitterte, weil erwartete, den glühenden Stumpf zu spüren. Er sah wie sich ihre weisse, gepflegt Haut zu Gänsehaut zusammenzog unter dem Angstschauer, als sie den Rauchgeruch spürte. Er genoss es.

Er war in einem Bergdorf gross geworden, wo die Erde steinig war und die Menschen unter den kratzigen Hüten Cocakugeln von einer Backe in die andere schoben. Nur wenige wurden über fünfzig, die meisten hatten schwarze Zähne. Solange er denken konnte, hat er mit gebeugtem Rücke gelebt, gebeugt über die jüngeren Geschwister, über den Kaffeepflanzen, über den Cocablättern, über der Schulbank in der zugigen Baracke, in der er vor der fleckigen Tafel einschlief. Und er hatte sie gehasst, schon immer.

Sie kam ein-, zweimal im Jahr, mit ihrem Vater, der sein Land inspizierte, seine Steuern holte und dabei seine ganze Familie mitschleppte wie einen Beweis seiner Macht. Die Söhne trugen weisse Hüte und gingen hinter ihm, die Töchter sassen auf Mauleseln, weiss gekleidet, stumm, hinter ihnen hielt ein Diener einen Sonnenschirm. Ihre Haut war weiss, auch wenn ihr Haar so schwarz war wie seins und er hasste sie. Er wusste nicht, wie sie hiess, und und sie wusste nichts von seiner Existenz, aber er verbrachte Nächte damit, sich ihr Leben vorzustellen, wie sie im weissen Kleid ass und mit Handschuhen Klavier spielte. Er hasste sie.

Schon mit der ersten Waffe, die er in der Hand hielt, wollte er sie töten. Aber es dauerte Jahre, bis es soweit war, Jahre, in denen er seinen Hass wie eine Schlange nährte. Gebeugte Jahre.

Sie hatte ihn nicht erkannt, als er in das Haus eindrang, Fenster einschlug, Anführer einer Horde.

Er hatte es genossen, wie sie zitternd dastand, seine Männer angefeuert, sie zu nehmen, ihr in die Augen geblickt, als sie sie vergewaltigten, er selbst hatte sie nicht angefasst.

Nun sass sie da, zitternd vor dem Geräusch eines Streichholzes, schlotternd unter ihrer weissen Haut, nicht mit jenem hochmütigen Gesichtsausdruck, mit dem sie seiner Mutter ins Gesicht gespuckt hatte, als diese es gewagt hatte, ihr Kleid zu berühren. Sie zitterte, schluchzend, das Blut lief noch an ihren nackten Schenkeln herab, bald würde es gerinnen.

Sie sass da, nackt, angebunden, wie ein Tier, und doch sah er nur den Schatten der getragenen Sonnenschirme über ihrem Gesicht, die Spucke auf dem Gesicht der Mutter, die Fusstritte an die Kinder, die sie bettelnd umsprangen. Ihre Schuhe waren hart und aus Leder gewesen. Er hatte es nicht vergessen.

„Bitte.“ flüsterte sie, „Bitte, tu mir nicht weh.“ Er antwortete nicht, sog nur noch einmal hörbar den Rauch ein, sah sie mit Zufriedenheit zittern.

„Bitte.“ flüsterte sie noch einmal, „Wenn du mir wehtust, gib mir einen Zug, nur einen.“ Er sah, wie ihre Lippen zitterten, wie sie versuchte, ihre Beine zusammenzudrücken, um die Scham ihrer Nacktheit zu verbergen. Dann lachte er laut. Er gab sich nicht die Mühe zu antworte, hielt nur die Zigarette so nah an ihr Gesicht, dass sie es spürte, dort liess er sie verglühen, ihr Gesicht beobachtend, den panischen Ausdruck eines wilden Tieres. Dann ging er, ohne ein Wort zu sagen. Er hakte ihren Namen auf einer Liste ab, drehte sich nicht um, fragte nie.

Sie hatte ihn nicht erkannt. Er hatte sie nicht angefasst.

27.3.2006
baboe
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Beitrag von baboe »

Mir gefällt, wie du sehr intensive Stimmungen schaffst indem du nur Menschen und Tätigkeiten beschreibst. Eindrücklich!

Babö
Habe fünf Kinder im Alter von 11,10,8,6 und 4. Die drei Grossen sind von meinem Mann aus erster Ehe. Die beiden Kleinen sind Gemeinsame. Alle leben seit 4 Jahren bei uns - und das find ich toll!
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