Wenn ein Kind sich benachteiligt fühlt

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carlotta37
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Wenn ein Kind sich benachteiligt fühlt

Beitrag von carlotta37 »

Hallo an alle!

Immer wieder geht es mit meiner 14jährigen Tochter darum: sie fühlt sich benachteiligt. Sagt sie mindestens. Und zwar ständig und immer und ganz besonders, sobald man auch nur das leiseste Wörtchen irgendeiner Kritik äussert oder etwas von ihr verlangt.
Heute früh: sie verschüttet Milch und soll den Tisch abwischen, mag den Lumpen nicht anfassen (iiihhhh!), nimmt schliesslich ein frisches Trockentuch dafür, die Hälfte bleibt liegen, das Trockentuch voller Milch fliegt in die Ecke. Ich fordere sie auf, es richtig zu machen, sie weist darauf hin, dass sie letzte Woche freiwillig die Küche geputzt habe, ich hätte mich nicht bedankt (stimmt, ich war nicht da die ganze Woche, meine Freundin war hier und die hat sie dafür gelobt!!). Ich würde immer nur motzen, sie sei immer Schuld, NIE ihre Brüder etc.

Aus meiner Sicht ist das Unsinn: sie explodiert, sobald man nur irgendeine Kleinigkeit auszusetzen hat. Und sie zeigt mir so dermassen die kalte Schulter, dass ich es ehrlich schwierig finde, besonders herzlich zu sein. Einen Igel umarmt man nicht so gern, oder? :wink:
Aber dass ich sie öfter kritisiere/schimpfe als mit ihren Brüdern, finde ich nicht. Die zwei sind nur noch etwas kompromissbereiter und reagieren ihrerseits nicht so heftig. Da wird aus so einer Szene wie mit der Milch gar nicht erst ein Problem, weil sie meiner Aufforderung sofort folgen, den Tisch wieder sauber zu machen.

Mein Problem: manchmal glaube ich ihr, dass sie es tatsächlich so empfindet, wie sie sagt und sich benachteiligt fühlt. Dann wieder habe ich stark den Eindruck, das ist eine perfekte Ausrede, um nur ja nicht die eigenen "Fehler" zugeben zu müssen. Mir ist es einerseits wichtig, ihre Gefühle ernst zu nehmen. Andererseits möchte ich aber nicht, dass sie mir so ständig ausweicht und alle Anforderungen von sich weist.

Dass sie sehr häufig um Aufmerksamkeit kämpft, ist schon auffällig. Am Wochenende war das Götti vom Bruder da zum Kaffee. Alle sassen am Tisch und unterhielten sich miteinander über ein für alle interessantes Thema. Mittendrin sie, sehr fordernd, brachte zur Sprache, dass sie Ende April eine Party in der Schule hätten und sie hätte nichts anzuziehen dafür und würde gar nicht hingehen. Das Thema ist nicht neu: sie versucht schon länger mich zu überreden, dass ich ihr für diese Party ein spezielles Kleid kaufe, das in meinem Budget eigentlich nicht drin liegt (besonders wenn es nur einmal getragen wird..... :roll: ). Ich wollte diese Diskussion nicht vor allen wieder aufrollen und habe sie freundlich gebeten, das Thema auf den Abend zu verschieben. Woraufhin sie wütend vom Tisch aufsprang, niemand würde sich für sie interessieren, ich würde ihr nie zuhören etc.. Peng, Türe knallen und weg war sie. Die Brüder kennen das und verdrehen nur die Augen.

Und wieder hat sie sich einen Beweis gebastelt, dass ich mich für ihre Sorgen nicht interessiere und sie überhaupt nicht verstehe.....: kauf mir das Kleid, dann bist du die tollste Mama, die mich versteht. Kauf es mir nicht, dann sehe ich ja, dass ich dir egal bin.

Erpressung? Ausrede? Oder doch das, was sie wirklich fühlt?

Keine Sorge, das Kleid kaufe ich ihr nicht. Aber ich helfe ihr gern, eine andere Lösung zu finden - wenn sie dann nicht zu beleidigt ist und das gleich ablehnt...dann muss sie halt daheim bleiben....

Ihr Selbstbewusstsein ist nicht sehr gross. Das verbirgt sie zwar so gut es geht nach aussen hin, aber ich weiss, wie unsicher sie oft ist. Das macht mir Sorgen, denn wenn ich erlebe, wie wenig Selbstvertrauen sie teilweise hat, glaube ich ihr sogar, dass sie besonders viel Lob und Zuwendung braucht. Nur kann ich deswegen nicht bei ihr über alles hinwegsehen! Ich finde es unheimlich schwierig, die richtige Balance zu finden und einzuschätzen, wie es ihr wirklich geht....

Kennt das hier jemand von pubertierenden Mädchen? Und damit meine ich nicht die Horrorstories vom verwöhnten Girlie!!! Ich verwöhne sie nicht und ich lasse mich nicht erpressen, aber ich versuche, sie zu verstehen und emotional auf sie einzugehen: Taschengeld, Klamotten und Mithilfe daheim sind nicht verhandelbar, aber ihre Gefühle will ich ernst nehmen! (Ich schreibe das, weil es mir wichtig ist, dass das deutlich ist und es keine Missverständnisse gibt).
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Ria
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Beitrag von Ria »

Hallo carlotta

Das kommt mir irgendwie bekannt vor :?
Deine Tochter weiss genau, wie sie dich packen und deine Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann. Und vor anderen ist das natürlich noch machtvoller. Das erinnert mich sehr an unsere Töchter, die auch genau die Lücke gefunden haben, um mich zu verunsichern, wenn ich klar und konsequent sein wollte. Mit 14 sind sie da schon richtige Expertinnen. :twisted:
Mein Problem: manchmal glaube ich ihr, dass sie es tatsächlich so empfindet, wie sie sagt und sich benachteiligt fühlt. Dann wieder habe ich stark den Eindruck, das ist eine perfekte Ausrede, um nur ja nicht die eigenen "Fehler" zugeben zu müssen. Mir ist es einerseits wichtig, ihre Gefühle ernst zu nehmen.
Sicher empfindet sie dann tatsächlich so, weil sie sich diese Gefühle über ihre Gedanken selber erschafft. Das heisst aber noch lange nicht, dass sie dich damit gängeln muss. Von daher lohnt es auch manchmal, nicht alle Gefühle so sehr ernst zu nehmen, weil wir sie damit noch bestärken.

Wozu fühlst du dich verantwortlich für ihre Gefühle? Die kannst du nicht ändern. Grundlegender ist, ob sie glücklich sein will. Und in diesem Alter gehören diese Schwankungen dazu, das Unsicher sein, wer bin ich?... und da ist die Mutter dann oft ein willkommener Blitzableiter. Das alles passiert natürlich überhaupt nicht bewusst!

Wenn du weisst, dass du sie nicht benachteiligst, dann lass dich von diesem Vorwurf nicht verunsichern und diskutier nicht darüber. Das ist das Beste, was du dann für sie tun kannst.
In diesem Alter können wir als Eltern unsere Kinder nicht glücklich machen und es tut uns weh, sie so zu sehen, aber das gehört einfach dazu. Wenn wir dem zustimmen können (das heisst nicht, dass es uns gefällt!), dann machen wir uns selber und ihnen weniger Stress. Wir unterstützen sie in ihrer Entwicklung, wenn wir das möglichst wertfrei aushalten und uns NICHT davon anstecken lassen! Erlaub ihr diese Gefühle, aber hab kein Mitleid mit ihr, sonst machst du sie dir eigen, und das gibt deiner Tochter zu viel Verantwortung - nämlich auch noch über deine Gefühle. :cry:

Sei da für sie, wenn sie dich braucht und verlange von ihr trotz ihrer Gefühlslage ihren Beitrag. Sie will nämlich dazugehören, und dafür gibt es auch von ihr Bedingungen zu erfüllen. Ruhig und klar.

Ich wünsche dir zwischendurch auch immer wieder fröhliche und glückliche Momente mir ihr, wenn sie wie eine Sternschnuppe vom Himmel fallen :lol:
Einen gelingenden Tag
Ria
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BabyOne
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Beitrag von BabyOne »

Hallo Carlotta,

ich kenne das auch, und zwar einmal von meiner Stieftochter aus deren Pubertät (wobei sie das nicht so oft direkt geäußert hat) und ganz massiv seit vielleicht zwei Jahren bei meinem Stiefsohn.

Bei meiner Stieftochter war es so, dass sie eh selten bei uns war und auch extreme Stimmungsschwankungen hatte. Wenn sie da war, dann war sie oft unfreundlich bis explosiv, und wenn sie in den Ferien mal einige Wochen am Stück bei uns war, dann hat sie sich sehr zurückgezogen, sich in einem Zimmer eingebunkert. Ich glaube dass sie damals wohl immer noch sehr an der Trennung der Eltern und an der feindseligen Stimmung zwischen ihnen zu knabbern hatte, und dann kamen relativ spät zwei kleinere Geschwister, da hatte sie wohl manchmal das Gefühl etwas am Rand zu stehen. Das meiste davon ging im Lauf der Zeit vorbei.

Ihr jüngerer Bruder ist zwar noch nicht in der Pubertät, aber bei ihm ist dieses "Ich werde IMMER benachteiligt" ein ziemlich großes Thema. Er ist altersmäßig näher an unserer Tochter dran, und natürlich ist er insofern tatsächlich benachteiligt, als sie Mutter und Vater immer bei sich hat. Außerdem ist sie ein viel offeneres, selbstbewussteres Kind als er und ihr gelingt einfach das meiste mit viel weniger Mühe als ihm, das nimmt er sicher auch irgendwo wahr. Andererseits könnte man es ja auch so sehen, dass er dafür jedes Jahr doppelt in den Urlaub fahren, Weihnachten doppelt feiern darf und zu Hause bei der Mutter der Hahn im Korb sein darf. Sicher sind seine Lebensbedingungen ANDERS, aber alles hat Vor- und Nachteile, und man MUSS es ja nicht so sehen, dass seine Position von vornherein schlechter ist. (Und wer sagt überhaupt, dass das Leben gerecht ist? Es ist nicht gerecht, das ist ein Fakt, und damit muss jeder zurechtkommen.Es gibt immer einen, dem es besser geht, der mehr Geld hat, besser aussieht oder was auch immer. Dafür gibt es aber auch immer etliche, denen es schlechter geht als uns. Wir können also alles in allem ziemlich zufrieden sein, schon allein deswegen weil wir in Europa in Sicherheit und relativem Wohlstand leben.)

Er will es allerdings so sehen, dass er schlechter dran ist. Anfangs hat mich das recht betroffen gemacht. Ich habe schon immer darauf geachtet ihn fair zu behandeln, wenn ich etwas für meine Tochter kaufen wollte, habe ich es oft gleich auch für ihn gekauft, damit es keinen Streit gibt. Und dann dauernd diese Vorwürfe, IMMER darf sie, NIE darf ich, ist ja typisch, O - HA !!!!! Das hat mich auch verletzt, da gibt man sich jahrelang so viel Mühe und dann wird das überhaupt nicht wahrgenommen.

Wie gesagt, eine Weile hat mich das betroffen gemacht, ich habe versucht herauszufinden ob es nicht doch irgendwo etwas gibt wo wir ihn wirklich benachteiligen - und ich habe nichts gefunden. Dann war ich eine Weile lang betrübt, dass man ihm anscheinend nicht helfen kann dieses Gefühl abzulegen, denn der einzige Weg dazu wäre, dass man ihn massiv bevorzugt, und das kommt nunmal nicht in Frage.

Und dann hatte ich irgendwann auch das Gefühl, dass er diesen Vorwurf einfach deshalb einsetzt, weil er merkt dass er wirkt. Er ist ohnehin jemand, der immer schon eher über Manipulation hintenrum versucht zu bekommen was er will, statt einfach offen zu sagen um was es geht (so wie seine Mutter), insofern passt das irgendwie zusammen.

Wir hatten einige Gespräche mit ihm darüber, wo wir über einzelne Punkte mit ihm gesprochen haben (er hatte behauptet seine Schwester bekäme zu Weihnachten viel mehr Geschenke als er, wir haben ihm vorgerechnet dass beide von uns exakt dieselben Geschenke bekommen hatten). Mittlerweile gehen wir gar nicht mehr darauf ein. Wenn er es mal wieder übertreibt, bekommt er von seinem Vater leichten Spott zu hören (du armer Junge, immer wirst Du bei uns benachteiligt, und gerade vorhin musstest Du mit uns Kuchen essen, kaum zu glauben wie grausam wir sind...) und seitdem kommen diese Sprüche seltener.

Das war jetzt viel Text um zu sagen, dass ich Ria zustimme :roll: . Es wird schon so sein, dass Deine Tochter sich wirklich benachteiligt fühlt. Das muss ja nichtmal eine Benachteiligung durch Dich sein, sondern einfach durch das Leben - Vater weit weg, die völlig andere Kultur im Heimatland des Vaters, andere Hautfarbe als die meisten anderen, die Brüder haben einander als Kameraden und sind in der Schule besser als sie, dann die aufkommende Frage was man im Leben eigentlich erreichen will, welchen Beruf soll man ergreifen... da kommt schon einiges zusammen an diffusem Unwohlsein, das sich dann vielleicht auch mal in einem simplen "um mich kümmerst Du Dich ja nie" entladen kann. Aber wie Ria meine ich auch, mach Dir diese Vorwürfe nicht zu eigen. Wenn Du Dich davon treffen lässt, wäre das ein Signal in ihre Richtung, dass sie WIRKLICH schlechter dran ist, und dann verstärkt sich das alles noch.
Patch von 2002/2003 bis 2017
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Re: Wenn ein Kind sich benachteiligt fühlt

Beitrag von NeuesLeben »

Der Beitrag ist schon eine weile hier...
trotzdem mein Kommentar...

Wir haben das Problem zu Hause mit meiner Stieftochter. Sie ist aber erst 8.
Es ist aber bei ihr massiv. Sie schafft aber ihr Papa damit sehr zu drehen und wir wissen, sie fühlt sich tatsächlich so.
Sie vergleicht sich ständig mit anderen. Und alles ist besser als ihres. "Unfair" wird hier laut geschrien.
Immer wenn sie was will, erzählt sie auch, wer auch das hat...oder besser "alle haben das...nur sie nicht."
"Das wirkt Wunder und normalerweise kriegt sie dann auch, was sie will.
Ich bin auch dafür, die Sache nicht so ernst nehmen. Man soll ja nicht diese Gefühle noch bekräftigen.
Mit meiner Tochter tue ich auch so. Wenn sie mit so etwas kommt, dann sage ich immer "ach du arme Würstchen...alle haben das nur du nicht?" oder "Du Arme...hast nichts im Leben". Dann lacht sie ja auch mit.

Gruß,
NeuesLeben
carlotta37
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Re: Wenn ein Kind sich benachteiligt fühlt

Beitrag von carlotta37 »

Ja, ist lange her....und inzwischen ist es viel besser!

Sie ist glücklich an ihrer Schule, hat neue Freundschaften geschlossen und ist das erste mal verliebt. Sie ist zufrieden mit ihrem Leben...so sehr, dass die langersehnte Reise zum Papa plötzlich eher lästig wurde und sie jetzt schon die Tage zählt bis zur Heimreise.

Eigentlich hat sich das alles recht von selbst so entwickelt. Die Launen bleiben, aber insgesamt läuft es gut. Dieses neue Umfeld hat sie sich selbst erobert, hat Fuss gefasst im Gymi, arbeitet an den Wochenenden noch und ist total stolz auf ihre eigenes Geld und den kleinen Nebenjob in einem Familienbetrieb, in dem alle sie sehr schätzen. Natürlich ist das nicht immer lustig, dann hat sie null Bock, ist müde und genervt. Aber sie macht es ihrer Umgebung - d.h. den Brüdern und mir - nicht mehr zum Vorwurf.

Wenn ich diesen Beitrag nochmals lese, denke ich: es stimmte schon, ich habe mich schuldig gefühlt. Nicht wegen der Scheidung von ihrem Vater. Aber weil ich ohne jede Unterstützung von meinem Ex einfach doch recht lange gebraucht habe, um uns etwas Sicherheit zu erarbeiten. Sie träumte von einem Schulwechsel in der Sek, den ich mir nicht leisten konnte. Für die Brüder war es dann möglich. Ich hätte es ihr einfach auch gegönnt!!!

Inzwischen ignoriere ich ihre Anfälle von schlechter Laune komplett, verlange aber ein gewisses Mass an Höflichkeit. Das ist einfacher geworden als früher, da diese einfach nicht mehr so lange dauern....meist kommt sie spätestens nach ein paar Tagen und will mit mir reden. Dann haben wir gute Gespräche und ich erfahre auch, wo sie der Schuh wirklich drückt.

Es ist eine harte Zeit gewesen!! Aber ich bin total froh, dass ich nie die Versuche aufgegeben habe, mit ihr zu reden und Zugang zu ihr zu finden. Es hat sich gelohnt, denn das klappt heute von selber und ich spüre, wie gross ihr Vertrauen zu mir ist...
Und zwischendrin geniesse ich es dann durchaus, dass sie so selbständig geworden ist, eigene Pläne macht, ausgeht...

Was auf Dauer sicher ein Thema wird, sind die Regeln daheim: sie sagt nie, ob sie zum Essen kommt. Wenn ich für sie mitkoche, kommt sie gerade garantiert nicht und wenn ich es lasse, steht sie plötzlich in der Tür. Kein Thema, sie macht sich dann selber was. Und Wäsche....mit Waschtag im Mehrfamilienhaus....den sie meistens verpasst oder verwechselt und dann gibt's Stress mit den Nachbarn....
Aber ich bin halt echt jenseits von scheintot, was diese Spontanität der Jugendlichen angeht ;-) Da müssen wir alle noch einen gangbaren Mittelweg finden!
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