Mithilfe im Haushalt / Kinder-Arbeit

Erziehung ganz allgemein
carlotta37
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Beitrag von carlotta37 »

Wir verbringen gerade 4 Ferienwochen zuhause und da fällt mir noch so einiges zum Thema ein....
Wir wohnen hier in einer Kleinstadt, viel Wald, ein Fluss, jede Menge Grünflächen, das mal vorweg. Und was machen die Kinder??? Wir belustigen sie! Fahren an den See, in die Badi, in Museen.

Selber Schuld?? Nein!! Was sollen sie denn sonst machen?
Fischen im Fluss ist verboten (mein Jüngster fischt gern, hat sogar einen Kurs gemacht, ist aber für ein eignes Patent noch zu jung - erfolgreich ist er eh nicht, aber ausdauernd...nur darf er ja nicht!), Spielen auf den Wiesen der Überbauung sowieso. Ein Baumhaus bauen? Aber nein!! Im Wald Feuer machen? gerade heute hat mir jemand gesagt, dafür muss ein mindestens 14jährige Begleitung dabei sein (die Jungs sind fast 12 und 11 und 9 - die Zwillinge meiner Freundin sind dabei). Und gesterrn zogen sie ab in den Wald, Brombeeren suchen. Kamen nach 30 Minuten frustriert wieder, weil eine ältere Dame einen Riesenaufstand gemacht hatte und ihnen Angst ein gejagt hatte wegen Fuchsbandwurm....

Unsere Kinder können sich eigentlich gut allein beschäftigen, die Jungs sind bei jedem Wetter draussen. Aber WAS sollen sie denn dort machen, wenn alles verboten ist???
Unsere Eltern und Grosseltern haben neben der Mithilfe im Haus und elterlichen Betrieb alle diese Dinge ungehindert machen können und auch das hat sie selbständig gemacht, nicht nur die Erfüllung ihrer Aufgaben. heute muss Mama ja ständig daneben stehen oder die Kids in der Freizeit als Chauffeur begleiten, damit sie sich austoben können. Auf dem Land mag es heute noch so sein, aber da lebt nunmal nur ein kleiner Teil der Bevölkerung. Und hätten wir das so gewollt, dann müssten wir uns ja an die eigene Nase packen, wir hätten alle in die Landwirtschaft gehen sollen...!

Meiner Meinung nach etnsteht eine gewisse Bedien-Mentalität nicht nur, weil die Kids zu wenig Aufgaben haben, sondern auch weil sie gewohnt sind, überall begleitet zu werden. Wenn ich sehe, wie sich mein 9jähriger schon vorletztes Jahr in der Badi vom 5-Meter-Brett mit einem Köpfler stürzte, dann war ich natürlich ganz die ängstliche Mama. Besser ist manchmal, die Kids haben mehr Freiheiten und Mama sieht gewisse Dinge nicht....Nur so IST eben unsere Umwelt nicht mehr....und es nützt uns wenig, wenn wir die Nachteile erkennen, denn gewisse Dinge lassen sich trotzdem nicht ändern.
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Nin
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Beitrag von Nin »

Ich hab meine Schreibfaulheit überwunden, aber Carlottas Beitrag erst nachher gesehen!

Also ich habe ja schon oft gesagt, dass meine Erfahrung ganz anders ist. Ich musste zu Hause nicht mithelfen, und das bis zu meinem Auszug – da war ich allerdings erst 18 und ging 1000 Kilometerweit weg zum Studieren – also ohne Möglichkeit, übers Wochenende mit Bügelwäsche nach Hause zu kommen.

Ich musste weder abwaschen (wir hatten eine Spülmaschine, seit ich 8 war, ausser in den Ferien) noch abtrocknen, noch Wäsche waschen noch aufhängen noch bügeln, noch einkaufen gehen, noch Konfitüre machen helfen, – meine Mutter hat das nie gemacht, sie musste es als Kind und fand es furchtbar! - noch putzen, ja nicht mal mein Zimmer aufräumen. Keines der Kinder – wir sind drei und ich bin die Jüngste - hatte je „Ämtli“.

Meine Mutter war zu Hause und das Haus war grundsätzlich pickobello. Sie putzte jeden Tag, ging aber auch am Nachmittag oft Tennis spielen oder hatte Kaffeeklatsch und meine Eltern hatte viel Gäste, dann mussten wir still sein und uns gut benehmen, wenn wir vorgestellt wurden. Es gab keine Putzfrau oder Haushaltshilfe, nur zur Situierung des sozialen Niveaus. Ich spielte ein Instrument (erst Klavier, dann Flöte) und hatte auch andere Hobbies und Kurse: Tennis, Töpfern, Tanzschule. Meine Kinder sind heute ähnlich aktiv.

Meine Mutter, die uns hauptsächlich erzogen hat (mein Vater machte Karriere) war 1950 als Flüchtling nach dem Krieg nach Deutschland gekommen – buchstäblich mit nichts. Sie musste als Kind helfen – ihre Mutter war Kriegswitwe mit fünf Kindern, da stellte sich die Frage nicht. Aber in ihrer Beschreibung ist nichts von der „schönen alten Zeit“, wie ich sie bei einigen von euch lese. Holz aus dem Wald holen war schwer und anstrengend. Die handgestrickten Socken kratzten. Beim Einkochen verbrannte man sich leicht die Finger. Mit der Hand waschen dauert und ist anstrengend – und das Auswringen erst... Der Fussweg zur Schule war lang. Alle mussten früh Geld dazu verdienen, dabei wurde Schulbildung immer gross geschrieben, auch für die Mädchen. Mit 19 wurde sie selbst Mutter, mein Vater Student, das Geld knapp – auf dem Feld Möhren klauen, Babykleider selbst nähen...

Sie wollte nie, dass wir, ihre beiden Töchter das müssen. Sie hat immer gesagt: „Du wirst noch genug bügeln müssen. Lern lieber. Geh zur Schule, zur Uni. Mach dich nie finanziell abhängig.“

Ich koche Konfitüre und backe Brot, letzten Sommer haben wir unsere Terrasse selbst gebaut, diesen Sommer ein grosses Bücherregal (wir haben entschieden zu viele Bücher!). All dieses habe ich nicht von meinen Eltern gelernt, die handwerklich nie etwas gemacht haben. Ich kann kochen, Reisen für Gruppen organisieren, stopfen, wenn es nötig ist, ich arbeite 100%, ich bügel die Wäsche aller im Haus und meine Kinder haben auch keine Ämtli. Ich kann sowohl praktisch als auch budgetmässig einen Haushalt führen – und konnte es auch mit 18 schon, auch wenn es zuerst nur ein Studio war. Schon nach wenigen Wochen hatte ich ein kleines Bügelbrett und einen Staubsauger – vom eigenen Geld gespart – denn dies war mein kleines zu Hause.

Von meinen Eltern habe ich etwas sehr viel wichtigeres gelernt, als Ämtli es jemals bringen können – meiner Meinung nach. Ich war ihnen wichtig. Ich habe meine Schulaufsätze vorgelesen und meine Flötenstücke geübt. Wir waren zusammen im Konzert und ich habe an ihrem Leben teilgenommen. Mein Vater war sehr stolz, weil ich so eine extrem gute Schülerin war (alle drei Kinder übrigens) und nahm uns auf Reisen als Dolmetscher mit. Ich hatte nicht das Gefühl, dass meine Eltern mich brauchten – für praktische Aufgaben sicher nicht –aber dass sie mich interessant fanden und es wertvoll fanden, Zeit miteinander zu verbringen, dass sie mir Werte mitgegeben haben: Bücher, klassische Musik, Kultur, Esskultur.

Aber am allerwichtigsten in dem allen würde ich sagen ist, dass ich Empathie gelernt habe. Ich musste nicht helfen. Aber meine Mutter erzählte von ihrer Kindheit und wie hart es war – aber ohne diesen vorwurfsvollen Unterton „wie gut du es doch hast.“. Ich habe gesehen, wie sie gearbeitet hat und wann es schwer war. Ich habe dann geholfen, wenn ich es wollte, aus Empathie, Empfinden für das Leben einer anderen Person, das diese auch mit mir geteilt hat. Und ich habe Sinn darin gesehen. Und ich sehe, dass es mit den Jungs genauso ist. Wenn ich nicht da bin oder müde – sie helfen sofort. Sie wissen, was ich in der Schule mache, sie sind Teil meines Lebens. Ich brauche meine Kinder nicht – ich mag sie und ich wollte sie.

Übrigens hat meine Mutter auch unerzieherische, verrückte Dinge mit mir gemacht, eher auf freundschaftlicher Basis: von meinen ersten eingeständigen Ferien mit 15 hatte ich Zigaretten mitgebracht – dazu noch bunte aus England –die haben wir zusammen geraucht... wir waren zusammen im Kino...

Meine Stiefkinder hatten auch praktisch keine Ämtli. Ihre Zimmer sind unter aller Kanone – ich bin nämlich nicht meine Mutter und räume die Kinderzimmer nicht auf! Aber als mein Stiefsohn neulich aus Berlin mit seiner Freundin kam, hat er schon Tage vorher angemeldet, dass er für alle kochen will – sogar die über achtzigjährigen Nachbarn hat er eingeladen. Meine Stieftochter war zwei Wochen allein im Haus – und alle ihre Klamotten gewaschen. Und trotz mehrerer Parties hat sich die Putzfau nicht beschwert – ich habe gefragt, sie hat gesagt, es sei nie besonders dreckig gewesen, im Gegenteil, sie hatte Zeit, alle Fenster zu putzen. Mein Sohn hat in den Ferien in Spanien fast jeden Abend für alle Familienmitglieder Milchshakes gemacht.

Ich halt aus all diesen Gründen sehr wenig vom „Helfen müssen“. Aber sehr viel von Gemeinsamkeit. Wenn man gern zusammen ist, dann arbeitet man auch gern zusammen. Und ich bin sehr froh, dass ich nicht in der „guten alten Zeit“ leben musste.

Morgen geh ich Brombeeren pflücken...
Nicht Schöneres unter der Sonne als unter der Sonne zu sein.
Buchenholz
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Beitrag von Buchenholz »

@ Carlotta
Gute Beiträge. Regt meine Hirnwindungen zu regem Nachdenken an.
Aber Recht haben eigentlich alle. Melde mich später detaillierter.
carlotta37
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Beitrag von carlotta37 »

Nin, was Du beschriebst, kann ich sehr gut nachvollziehen. Ganz ähnlich war es bei uns früher auch! Die Kindheit meiner eigenen Eltern, mindestens vom Vater, war teilweise traumatisch...Auch sie wollten mir, ihrer einzigen Tochter, etwas Besseres bieten. Geholfen habe ich schon und hatte bestimmte Aufgaben, allerdings waren das auch solche, die nötig wurden, nachdem meine Mutter wieder arbeiten ging und die habe ich selbstverständlich übernommen und war stolz darauf: ich konnte mit 11 ein Mittagessen kochen für uns alle und das konnte niemand von meinen Freundinnen! Alles hab ich natürlich auch nicht gern getan, aber ich hab's getan, weil ich sehr wohl gesehen habe, was meine Eltern für mich tun und weil es nötig war. Meine Mutter war gesundheitlich nicht so kräftig: Haus, Kind UND Job war für sie sehr anstrengend. Aber sie wollte ein eigenes Einkommen haben und vor allem eine sinnvolle Beschäftigung über den Haushalt hinaus. Hätte sie mehrere Kinder gehabt, wäre sie wahrscheinlcih daheim geblieben, aber mit nur einem....

An ihre eigene Kindheit denken meine Eltern trotzdem gern. Neben der harten Arbeit gab es ja auch andere Seiten: die vielen Freiheiten, das Herumstreunen draussen, die Grossfamilie. Aber genau das meinte ich: die gute alte Zeit hatte ihre schönen und wetvollen Seiten und dazu ganz gewaltige Schattenseiten. Nur kann man nicht eines ohne das andere haben!

Wie Du sagst, Nin, Deine Jungs helfen, wenn Du ihre Hilfe brauchst. So wie ich es als Kind getan habe. In einer künstlich erzeugten pädagogischen Situation täten sie das nicht oder nur mit Widerstand. Unsere Grosseltern hätten es auch nicht getan, wenn es nicht notwendig gewesen wäre!!! Oder kennt Ihr ernsthaft jemanden, der freiwillig im Winter draussen Wäsche per Hand wäscht???
Buchenholz
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Beitrag von Buchenholz »

Übrigens kann ich das erwähnte Buch sehr empfehlen. Es ist nicht nur eine Autobiographie sondern auch eine Zusammenfassung des 20. Jahrhunderts aus der Sicht des (Schweizer) Metzgermeisters.
Und was der Mann erlebt hat ist alles andere als ein Honigschlecken. Vieles was er erzählt kenne ich von meinen Eltern. V.a. von meinem Vater, der auch im Emmental aufgewachsen war und sogar Verdingbub war.

Also ich möchte auch nicht mit der Kindheit meiner Eltern tauschen. Was Carlotta schreibt, dass man heute nicht mit früher vergleichen kann, das stimmt total. Und was dürfen Kinder denn heute noch?
Wir hatten einen eigenen Wald und ich streunte nachmittagelang in freier Natur umher. Da war ein Bach (Ertrinkungsgefahr) Felsen (Absturzgefahr) ein schrulliger alleinstehender Bauer (Missbrauchsgefahr) usw. Meine Eltern fanden es nicht toll, dass ich jeweils die Zeit vergass und für Stunden verschwand, aber sie mussten beide arbeiten um unser viel zu gross und teuer geratenes Haus (Villa) zu finanzieren.
Ich habe meine Tochter früher auch mit dem Trotti herumstreunern lassen und mir von meinem Ex-Mann Vorwürfe wegen Vernachlässigung (Kindsentführung und Unfallgefahr) anhören müssen.


@ Nin
Du schreibst sehr schön, wie du die Zeit mit deinen Eltern genossen hast. Ich glaube, meine Mutter hätte gern ein solches Leben gelebt. Sie hat dafür aber den falschen Mann geheiratet. Trotzdem haben sich meine Eltern bemüht, mir auch Kultur zu bieten. Aber anscheinend habe ich es zu wenig geschätzt und trotz allem zu wenig mitgearbeitet, ich hörte nämlich immer den Satz, dass sie es als Kind nie so schön hatten wie ich.
Übrigens habe ich auch freiwillig mitgeholfen. Habe geputzt, Schuhe gewichst, Gekocht. Aber was ich gemacht habe, hat meiner Mutter nie genügt. Ich machte immer alles falsch und wie bereits geschrieben, Vieles musste ich alleine machen. Vor allem SIE hatte ein Erwartungshaltung, derer ich nie genügte.
Mein Vater war anders. Wenn er da war, dann machten wir die Sachen immer gemeinsam.


Mir hat der Ausschnitt aus dem Buch einfach Eindruck gemacht, weil mir in den Ferien aufgefallen ist, wie oft den Kindern langweilig war und hätten sie nicht ihre Handys dabei gehabt, sie wären wohl verzweifelt. Keiner hatte ein Buch dabei mit Ausnahme meiner Tochter. Nicht mal das P.M. konnte die Jungs faszinieren. Schlafen, Rauchen, Bier und bei schönem Wetter baden, das war alles. Sie waren anständig und haben auch keine Grenzen überschritten.
Aber für sie war es in Ordnung so. Einfach nur nichts tun, das war ihr Plan.


Mein Partner hat nun seinen älteren Sohn gebeten, ihm etwas zu helfen. Er kam nicht. Noch schlimmer: er hat via meine Tochter erfahren, dass der Junge etwas anderes los hat, obwohl der Termin fix abgemacht und ein Lieferwagen reserviert war.
tabida
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Beitrag von tabida »

Für mich hast Du Nin etwas ganz wichtiges geschrieben. Du warst Deinen Eltern wichtig und sie haben Anteil an dem genommen, was Du gemacht hast.
Bei uns war eben "Aufgaben machen", Instrument üben usw. usf. eben eigentlich gleichwertig wie eben auch ein Aemtli zu erledigen.

Und Carlotta: von künstlich erzeugten Situationen halte ich gar nichts, aber in einem Haushalt fallen doch so viele Arbeiten an die doch viel rascher und mit mehr Spass erledigt werden können, wenn sie auf mehr Hände verteilt werden. Kann ja z.B. auch einfach sein am Samstag-Morgen helfen alle beim Wohnung auräumen/putzen, dann ist man schneller fertig und kann das Wochenende geniessen.

Hier bei uns ist es wirklich erstaunlich. Die Kinder sind praktisch bei jedem Wetter draussen zum spielen. - etwas was wir als Kinder nie so konnten. Wir mussten viel mehr ruhig sein, vor allem an den Wochenende. Ich wuchs in einem Quartier mit vielen Arbeitern aus und die wollten am Wochenende und an den Abenden ihre Ruhe. Deshalb war's bei uns zu Hause so (wir waren sehr privilegiert im Quartier, mein Vater war Pfarrer), dass wir am Samstagnachmittag aufgeräumt und geputzt haben und dann am Sonntagnachmittag alle zusammen in den Wald sind damit wir uns da austoben konnten. Wobei ich die Samstagnachmittag wirklich ziemlich schlecht in Erinnerung habe. Zwei meiner Geschwister gingen nämlich in Cevi/Pfadi und wir die wir zu Hause blieben mussten vor allem mitanpacken. Da mein Vater zu Hause arbeitete und eigentlich seine Ruhe brauchte, gab es oft Streit. Aber das haben wir auch überlebt :-).
Wäre Cevi oder Pfadi nicht auch etwas für Deine Jungs Carlotta? Wir waren in den Ferien auch oft in Lagern - die gibt's ja für die verschiedensten Bedürfnisse. Ich selber konnte z.B. der Pfadi nie etwas abgewinnen. Ich liebte es Geschichten zu hören, zu Basteln etc. deshalb war ich der Blaukreuzjugend aktiv und ging da in Lager, als ich grösser war ging ich dann mit den Naturfreunden weg.
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